Athen bleibt im Sparkorsett

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Die EU feiert das Ende der Euro-Rettungsprogramme. Doch die Überwachung geht weiter: Die Nachfolger der verhassten Troika sind schon im Anmarsch nach Athen.

Von unserem Korrespondenten Eric Bonse, Brüssel

Lesen Sie auch zu diesem Thema den Leitartikel von unserem Redakteur Christian Muller: „Ein Trauerspiel“

„Ihr habt es geschafft.“ Mit diesen Worten gratulierte EU-Ratspräsident Donald Tusk den Griechen am Montag in Brüssel zum Ausstieg aus den umstrittenen Hilfsprogrammen der Eurozone. Währungskommissar Pierre Moscovici sprach von einem „historischen Moment“. Hellas sei nun wieder ein normales Land – und müsse sich nicht mehr der verhassten „Troika“ der Gläubiger unterwerfen.

Doch die Nachfolger der Troika sind schon im Anmarsch. Bereits am 10. September schickt die EU ihre erste Kontrollmission nach Athen. Sie soll nicht nur die Umsetzung der drastischen Sparvorgaben, sondern auch die Reformen überprüfen, die die Linksregierung um Premier Alexis Tsipras abarbeiten muss. Insgesamt 450 Reformen enthielt das letzte Hilfspaket – etliche stehen noch aus.

Die harte deutsche Linie setzte sich durch

Vor allem die 2019 geplante Rentenreform schwebt wie ein Damoklesschwert über den Griechen. Sie bringt neue, harte Einschnitte – dabei waren die Renten seit Beginn der Krise 2010 schon mehrfach gekürzt worden. „Die Verpflichtungen müssen eingehalten werden“, betonte Moscovici. Ob die Kürzungen weniger drastisch ausfallen können, wenn die Wirtschaft gut läuft, wollte der EU-Kommissar aus Frankreich nicht sagen.

Lange hatten Deutschland und Frankreich darüber gestritten, ob die Auflagen für die nun beginnende „Post-Programm“-Zeit vom Wirtschaftswachstum abhängig gemacht werden sollten. Paris war dafür, Berlin dagegen. Am Ende setzte sich die harte deutsche Linie durch, wie so oft im griechischen Schuldendrama. Auch einen Schuldenschnitt, wie ihn der Internationale Währungsfonds (IWF) gefordert hatte, wird es nicht geben. Dennoch gibt sich der Chef des Euro-Rettungsfonds ESM, Klaus Regling, optimistisch. „Dies ist ein erfolgreicher Ausstieg“, erklärte der Finanzexperte. Zum ersten Mal seit 2010 könne das Land wieder auf eigenen Beinen stehen.

In Wahrheit dürfte die Rückkehr an die Finanzmärkte aber nur dank eines Finanzpolsters von 24 Milliarden Euro gelingen. Die Gläubiger wollen damit den Schuldendienst für die nächsten Monate sichern. Böse Zungen behaupten, sie hätten sich Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl gekauft. Ob sich Athen danach immer noch – wie geplant – an den Märkten mit frischem Geld versorgen, seine Schulden bedienen und zudem noch hohe Budgetüberschüsse erzielen kann, bleibt abzuwarten. ESM-Chef Regling und die EU-Kommission erwarten bis 2022 einen Primärüberschuss (vor dem Schuldendienst) von jährlich 3,5 Prozent. Danach sollen es immer noch 2,2 Prozent sein – und das bis 2060.

Künftig mehr Kontrollen

Damit das gelingt, wird Griechenland in ein neues Sparkorsett gezwängt. Alle drei Monate wollen die EU-Kontrolleure künftig nach dem Rechten sehen. Doch selbst wenn alles nach Plan läuft, dürfte es noch Jahre dauern, bis der griechische Schuldenberg von derzeit 180 Prozent der Wirtschaftsleistung auf das Niveau vor der Krise (120 Prozent) sinkt. Der ESM rechnet damit erst gegen 2040 – auf Athen und Brüssel kommen noch viele harte Jahre zu.
„Griechenland bekommt etwas mehr Luft zum Atmen, aber die Überwachung insbesondere durch die EU-Kommission bleibt weiterhin engmaschig“, kommentiert der Vorsitzende der Europa-Grünen, Reinhard Bütikofer. Eine „neue Ära“ sei das nicht, so der Europaabgeordnete. Nur mit einem Kurswechsel – etwa einer neuen Industriepolitik – könne es vorangehen.

Optimistischer gibt sich der Chef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Udo Bullmann. „Das Schreckgespenst eines ‚Grexit‘ mit all seinen verheerenden Folgen für die Eurozone ist endgültig gebannt“, meinte Bullmann. Jetzt gehe es darum, die positive Entwicklung fortzuführen und ein faireres Land aufzubauen. Auch die EU müsse Konsequenzen ziehen und endlich den Weg für eine Euro-Reform freigeben.


Ein Leben an der Armutsgrenze

Nach Portugal, Irland, Spanien und Zypern ist Griechenland der fünfte Patient der Währungsunion, der den sogenannten Euro-Rettungsschirm verlässt. Die Schuldenkrise und die von den internationalen Gläubigern auferlegten Kürzungsprogramme im Gegenzug für drei Kreditpakete haben Griechenland in eine humanitäre Krise gestürzt. Athen stimmte zu, unter anderem Privatisierungen und harte Einschnitte bei den Sozialsystemen, etwa bei den Renten, sowie bei Löhnen und Gehältern vorzunehmen.

Insgesamt erhielt das Mittelmeerland zur Abwehr eines Staatsbankrotts seit 2010 fast 274 Milliarden Euro. 2017 verzeichnete Hellas ein leichtes Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent. Die Arbeitslosenrate ging stetig zurück. Amtlichen Angaben zufolge sank sie erstmals seit September 2011 mit 19,5 Prozent unter die 20-Prozent-Marke. Die Regierung aus Tsipras’ Syriza-Allianz und der rechtspopulistischen Partei der Unabhängigen Griechen (ANEL) sieht darin einen Hoffnungsschimmer.

Griechenland ist gleichwohl weiterhin das Land, das mit Abstand die höchste Arbeitslosenquote in Europa aufweist. Bei den 15- bis 24-Jährigen beträgt die Arbeitslosenrate 39,7 Prozent, bei den Frauen 24,1 Prozent und bei den Männern 15,8 Prozent. „Griechenland hat noch einen weiten Weg vor sich“, urteilte der ehemalige Finanzminister und jetzige Notenbankpräsident Giannis Stournaras in einem Interview mit der Sonntagsausgabe der Zeitung Kathimerini. Er äußerte sich zugleich besorgt darüber, dass die Märkte Griechenland „fallenlassen“ könnten, sollte es den Auflagen nicht ausreichend nachkommen. Tsipras hatte bereits im Juni versprochen, künftig eine Politik für mehr „soziale Gerechtigkeit“ zu betreiben.

Viele griechische Familien leben inzwischen an der Armutsgrenze und wissen nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. Ökonomen wie der Wirtschaftsprofessor Nikos Vettas empfehlen dringend ein „sehr starkes Wirtschaftswachstum“. Andernfalls hätten die jetzt schon durch zehn Jahre Rezession empfindlich geschwächten Haushalte eine weitere lange Leidensstrecke vor sich.