Amnesty-Direktor Brabant: „Dass es uns in Luxemburg so gut geht, sollten wir nutzen, um anderen zu helfen.“

Amnesty-Direktor Brabant: „Dass es uns in Luxemburg so gut geht, sollten wir nutzen, um anderen zu helfen.“

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10. Dezember 1948, Paris: Die Generalversammlung der Vereinten Nationen stimmt im Palais de Chaillot über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ab. 48 Mitglieder stimmen dafür, keiner dagegen, acht enthalten sich. 30 Artikel, in denen niedergeschrieben ist, welche Rechte jedem Menschen zustehen sollten, werden an diesem Tag auf einer – leider nur unverbindlichen – Liste festgehalten.

Bis heute kämpfen Menschen weltweit für diese Menschenrechte. Einer von ihnen ist Stan Brabant, Direktor von Amnesty International, kurz AI, Luxemburg. Der 50-Jährige ist sich der vergleichsweise guten Menschenrechtssituation in Luxemburg bewusst – aber selbst hier ist nicht alles perfekt.

Tageblatt: Wieso Amnesty International in Luxemburg?
Stan Brabant: Die Situation der Menschenrechte in Luxemburg ist stabil und eher beruhigend. Die Schwierigkeit ist, dass die Situation der Menschenrechte weltweit derzeit teilweise Extreme erreicht, die es zuvor nie gab. Syrien, Jemen, Myanmar, Venezuela, Russland, Iran … Ich könnte meine Liste ewig fortführen. Die generelle, sehr besorgniserregende Degradierung der Menschenrechte trifft vor allem diejenigen, die diese Rechte verteidigen. Dass es uns hier so gut geht, sollten wir nutzen, um anderen zu helfen. Das heißt aber nicht, dass es in Luxemburg keine Arbeit gibt.

Wie genau kann Luxemburg seine Verantwortung denjenigen gegenüber, denen es schlechter geht, übernehmen?
Da spielen besonders Offizielle, wie Politiker oder Diplomaten, eine große Rolle. Reist ein Politiker aus Luxemburg in ein Land und besucht dort einen Menschenrechtsverteidiger, der attackiert, verfolgt oder kontrolliert wird, kann das bereits einen großen Unterschied machen. Daran denkt man vielleicht nicht sofort, aber jede Hilfe von außen kommt diesen Menschen zugute. Es wäre sehr gefährlich, wenn das nicht mehr passiert, weil diese Menschen dann ganz alleine dastehen. Wenn aber jemand, der in einem anderen Land eine hohe Stellung hat, sich für sie interessiert, und die dortige Regierung bekommt das mit, kann das Leben retten.

Gibt es ein Beispiel, wo ein Luxemburger Offizieller etwas bewegt hat?
Unsere Kollegen in Moldawien standen einem Gesetzesprojekt gegenüber, das auf einem russischen Gesetz basiert und sehr repressiv für Menschenrechtler gewesen wäre. Als Außenminister Jean Asselborn auf dem Weg nach Moldawien war, haben wir uns mit ihm getroffen. Er konnte das Gesetzesprojekt ansprechen, woraufhin dieses zurückgezogen wurde. Ein sehr gutes Beispiel dafür, was Amnesty International Luxemburg wirklich bewirken kann.

Sie meinten zu Beginn, dass es auch hier in Luxemburg noch Arbeit gibt.
Im Umgang mit Flüchtlingen hat sich zwar bereits eine Reihe an Dingen getan, es gibt aber immer noch vieles, was verbesserungswürdig ist. Dazu gehört die Wartezeit der Menschen, die Asyl beantragen. Verwundbare Menschen – das heißt diejenigen mit einer Behinderung, die, die auf dem Weg nach Luxemburg oder in ihrem Land verfolgt wurden, aber auch diejenigen, die der LGBT-Community angehören – müssen bei ihrer Ankunft besser betreut werden. Klar werden sie medizinisch untersucht, aber die unsichtbaren Probleme werden oft nicht beachtet. Viele kommen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung, einem Trauma oder anderen psychischen Leiden hier an. Werden diese nicht behandelt, stellt sich die Integration als schwierig dar.

Inwiefern stoßen Flüchtlinge, die der LGBT-Community angehören, in Luxemburg auf Probleme?
Wir wissen von solchen, die innerhalb oder in der Nähe von Aufnahmeeinrichtungen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung belästigt und bedrängt wurden. Für sie ist es oft schwer, mit anderen Flüchtlingen aus anderen Kulturen zusammenzuleben. Teilweise kommen diese aus Ländern, in denen Homosexualität immer noch verurteilt wird. Ihre Rechte sind dort weit davon entfernt, garantiert zu werden.

Was gibt es sonst noch an Arbeit?
Viele Luxemburger Unternehmen, insbesondere Banken, ignorieren ihre Verantwortung in Bezug auf Menschenrechte. Sie investieren ungeniert in die Waffenproduktion und ignorieren dabei die Folgen davon. Ich denke dabei an Waffenfirmen in der Großregion. Belgien beispielsweise exportiert viele Waffen nach Saudi-Arabien. Aber der Finanzsektor scheint sich keine Fragen zu seinem Verhalten zu stellen. Als AI Luxemburg 2016 einen Bericht zu dem Thema herausbrachte, haben sich die meisten Banken komplett verschlossen. Es gibt hier offensichtlich ein Unbehagen und vor allem eine Weigerung, sich selbst zu hinterfragen. Es ist ein Dossier, in dem sich nichts verändert hat.

Was erwarten Sie in dem Punkt von der neuen Regierung?
Im Koalitionsabkommen der neuen Regierung zeichnet sich bereits eine positive Entwicklung ab. Sie haben die Pflicht der Wachsamkeit darin aufgenommen. Das heißt, sie verpflichten sich dazu, den Umgang von luxemburgischen Unternehmen mit Menschenrechten im Auge zu behalten. Es gibt bereits von der vorigen Regierung einen „Plan d’action national sur les entreprises et les droits humains“, der vor Kurzem veröffentlicht wurde. Das Dokument bewerten wir allerdings als sehr schwach, mit guten Ansätzen, aber keinerlei verbindlichen Kräften. Auf internationaler Ebene wird dieses Thema ebenfalls derzeit diskutiert. Es wäre sehr wichtig, dass die kommende Regierung diesen Prozess unterstützt, auch wenn er sehr komplex sein wird.

In der diesjährigen Kampagne von AI dreht sich alles um Frauenrechte …
Es ist sehr lobenswert, dass Luxemburg die Istanbul-Konvention (das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt) ratifiziert hat. Das Dokument ist also jetzt rechtskräftig. Dem müssen allerdings nun Umsetzungsmaßnahmen folgen. Zwar gibt es zum Teil schon Anlaufstellen und telefonische, juristische und psychologische Hilfestellung, sie verdienen es aber, besser unterstützt zu werden. Das beinhaltet auch eine Sensibilisierungsarbeit, mit der nicht früh genug angefangen werden kann.

Was haben 70 Jahre Menschenrechtserklärung in Luxemburg geschafft?
Nach 70 Jahren Menschenrechtsverfassung konnten wir in Luxemburg eine unabhängige und strukturierte Zivilgesellschaft aufbauen, die sehr dynamisch und wachsam ist. Hier herrscht eine sehr positive Spannung. Wenn etwas passiert, das gegen die Menschenrechte geht, gibt es eine Gruppe, die dagegen etwas tun wird, und das ist beruhigend.


Zur Person

Stan Brabant ist seit Januar 2012 Direktor von Amnesty International Luxemburg. Den ersten Kontakt mit der Hilfsorganisation hatte der heute 50-Jährige bereits in der Grundschule in Brüssel. Im Religionsunterricht besuchten drei freiwillige Mitarbeiter von AI die Klasse. Brabant erinnert sich, dass er damals, mit 14, sehr skeptisch der Hilfsorganisation gegenüber war und viele Fragen stellte. Die Antworten, die er bekam, waren überzeugend. Das machte den jungen Mann neugierig. Bis er bei AI landete, sollten allerdings noch mehrere Jahre vergehen.

Er studiert internationale Beziehungen und nimmt an Fortbildungen in Philosophie und Management teil. Bereits nach seinem Studium will Brabant Menschen helfen – er nimmt einen Job bei Handicap International an. Dadurch kommt er schon in jungen Jahren viel umher, arbeitet in Kambodscha, Afghanistan und in Brüssel. Dort verwaltet er die Kampagne gegen Personenminen und Streumunition.

Danach geht er für die UNO nach Laos und ist dort zwei Jahre lang leitender technischer Berater bei allem, was mit dem Entbomben der explosiven Reste des Vietnamkrieges zu tun hat. Mehr als 30 Jahre nachdem AI Stan Brabants Interesse geweckt hat, wird er selbst Direktor der luxemburgischen Sektion.


Lesen Sie hierzu auch den Kommentar von René Hoffmann.

Zeichen setzen für Menschenrechte

roger wohlfart
10. Dezember 2018 - 17.47

Nicht nur zur Weihnachtszeit, Zeit der inneren Einkehr und Besinnung, sollen wir an unsere Mitmenschen denken, denen es nicht so gut geht wie uns. An die Verfolgten, Unterdrückten und Kriegsopfer, an die unschuldigen Kinder in den ärmsten Gebieten der Welt, die an Hunger oder Deshydrierung sterben. Wir können nicht alles Elend aus der Welt schaffen, der Einzelne ist überfordert und sei er noch so hilfsbereit. Aber es ist schon viel wert, wenn wir uns bewusst sind oder werden, wie gut es uns, im Grunde genommen, geht und dankbar dafür sind. Unsere Hilfe ist gefragt und wer wirklich helfen will, kann das seinen, wenn auch beschränkten, Möglichkeiten entsprechend tun. " On ne voit bien qu'avec le cœur, l'essentiel est invisible pour les yeux ". Eine vielleicht abgegriffene, aber ewig gültige Aussage von Saint-Exupéry.

Nomi
10. Dezember 2018 - 11.40

An Menschenpflichten ????