Abrissbirnenkompott: „Einstürzende Neubauten“ geben sich in Luxemburg die Ehre

Abrissbirnenkompott: „Einstürzende Neubauten“ geben sich in Luxemburg die Ehre

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1980 gab sich eine experimentelle deutsche Band, die Musikgeschichte schreiben sollte, den Namen „Einstürzende Neubauten“. Nun könnte sie über eine Umbenennung in „Katastrophenfeste, kernsanierte Altbauwohnung“ nachdenken. Findet unsere Kulturjournalistin.

Blixa Bargeld hat gekotzt. Scheinbar. Nach dem Konzert am Dienstagabend und somit vor der Lesung am Mittwoch in Luxemburg. So zumindest seine einführenden Worte bei der Veranstaltung im „Casino Luxembourg – Forum d’art contemporain“, die einen ebenso großen Andrang mit sich brachte wie schon das Event in der Philharmonie, das einer Art Klassentreffen der selbst ernannten Intelligenzia Luxemburgs gleichkam.

Auf sein Er- und Gebrechen Bezug nehmend kündigte Bargeld im Casino seinerseits wenig Elan an und hielt Wort. Er ratterte die Auszüge aus „Europa kreuzweise: Eine Litanei“ relativ emotionslos runter, was beim besten Willen nicht ausschließlich auf die gebets(mühlen)artige Form zurückgeführt werden kann.

Seinen Schilderungen des Touralltags sowie jenen halbwegs „freien“ Momenten zwischen den Auftritten fehlte es nicht an oberflächlich anmutendem Geplänkel über die Qualität von Restaurants, Catering, Hotels und Flugzeugsitze, aber dafür suchte man jene sprachliche Raffinesse, für die ihn wohl viele Fans respektieren, idolisieren, ja gar vergöttern, vergebens. Der fast nuancenfreie Vortrag hatte etwas von Gejammer auf hohem Niveau. Wobei Letzteres sich jedoch scheinbar nur auf einer derartigen Höhe befand, weil seine Erzeugnisse von seinen Jüngern und Jüngerinnen auf diese Ebene verfrachtet werden, unabhängig von der inhaltlichen Qualität.

Ironischerweise hatte die etwas dürftige Performance dennoch zur Konsequenz, dass nach der Lesung vermehrt über eine vom Publikum potenziell verkannte Metaebene diskutiert wurde. Realsatire made in Luxembourg. Denn einfach mal auszusprechen, dass das gerade Dargebotene eventuell schlicht und wenig ergreifend nicht das Höchste aller Dinge war, das traut sich in solchen Momenten selten jemand.

Keine Anarchitektur

Aber zurück auf Anfang: Es war nicht das erste Mal, dass die „Neubauten“ in Luxemburg spielten. Vor etlichen Jahren hatten sie das Publikum in der Escher Kufa sowie in der Rockhal bespaßt. Ebenso wenig war es für die gestandenen Herren, die nach eigenen Aussagen mehrere Jahrzehnte in „Rattenlöchern“ gespielt haben, ein Debüt in Bezug auf doch eher edlere Locations.

Der Parco della Musica in Rom hatte ihnen schon als Bühne gedient und zur Eröffnung der Elbphilharmonie in Hamburg waren die Einstürzenden Neubauten 2017 ebenfalls geladen, was den Bassisten Alexander Hacke in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung dazu verleitete, Folgendes zu sagen: „Ich denke, da hat im Haus jemand eine gehörige Portion Humor, denn nach den ganzen Pleiten, Pech und Pannen, die dort im Zusammenhang mit der Elbphilharmonie passiert sind, eine Band in das neu eröffnete Gebäude einzuladen, die sich Einstürzende Neubauten nennt, halte ich für eine sehr ironische Entscheidung. Natürlich beweisen die Leute damit auch guten Geschmack, und darüber freuen wir uns.“

Über diesen lässt sich ja zumindest dem Sprüchlein nach nicht streiten. Die Suche nach Konfrontation scheint indes ohnehin heutzutage fast schon obsolet. Zu konsensfähig, allem voran zu vorhersehbar das abgespielte Programm möchte man fast meinen.
Wer sich Artikel in der deutschen Presse über das Hamburger Konzert durchliest, wird merken, dass es sich ebenso gut um eine Beschreibung der Situation in der Philharmonie handeln könnte. Dass man teils mit ähnlichen Songabfolgen arbeitet, da ihnen ein durchreflektierter Spannungsbogen innewohnt, ist nicht ungewöhnlich, jedoch nimmt die Tatsache, dass so mancher Gag während einer Tour scheinbar sogar an der gleichen Stelle wiederholt wird, dem Ganzen seine Einzigartigkeit, aber dazu später mehr.

Auch verleitet es zu einem kleinen Schmunzeln, dass sogar die im Musikexpress zu lesende Beschreibung des Publikums in Hamburg Parallelen zu jenem in Luxemburg aufweist: „eine kuriose Mischung aus (…) Hauptsache Karten, Konzert egal – und klassischen Fans – Hauptsache Neubauten, Halle egal.“

Obwohl das Sicherheitspersonal der Philharmonie mal wieder kleine Marathonläufe im großen Saal zurücklegen durfte, um nur scheinbar erwachsene Menschen davon abzuhalten, schlechte Filmaufnahmen von einem Konzert zu machen, das ohnehin aufgenommen wurde, gab es wenigstens auch einige Gäste, die das Geschehen auf ihre eigene Art und Weise festhielten. Und zwar ohne technische Beihilfen. In sich selbst. Nur durch ihre engagierte Präsenz.

Manch einer oder eine (und so auch die Autorin dieses Textes) fand es erfrischend, einen mehr als nur augenscheinlichen Fan – erst auf einem der Balkone, dann im Parterre am Rand stehend und später mit voller Inbrunst direkt vor der Bühne alles gebend – zu sehen. Irgendwie schon etwas witzig, dass in einem derartigen Saal zu stehen, wenn alle anderen sitzen, einen Menschen für einen kurzen Moment zum Rebell machen kann. Weil man sich einen feuchten Kehrricht darum schert, dass mancherorts die absurde Konvention vorherrscht, dass intellektueller Konsum von Musik stets mit einem starren Beobachten einhergehen muss.

Perpetuum immobile

Nun zurück zum zuvor angesprochenen Konsens und der fehlenden Einzigartigkeit: Die Einstürzenden Neubauten zeichneten sich in ihrer fast vier Jahrzehnte andauernden Bandgeschichte nicht unbedingt vordergründig durch eine etwaige Virtuosität an den (teils konventionellen, aber eben auch selbst gebauten) Instrumenten aus. Bewunderung und Respekt erfuhren Blixa Bargeld und Konsorten wohl eher unter anderem aufgrund der Kreativität und des Ideenreichtums, das sie an den Tag legten, um häufig sozio-politische Belange künstlerisch und innovativ umzusetzen.

Ein meisterhaftes Beispiel hierfür ist das Projekt „Lament“, eine Auftragsarbeit, welche sich mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs auseinandersetzt und als Performance 2014 in der belgischen Stadt Diksmuide erstmalig vorgestellt wurde. Oder auch „Nagorny Karabach“; eigentlich ein Track, den man als die Schilderung eines inneren Konflikts verstehen könnte, der aber allein schon vom Namen her Bezug auf einen realen Konflikt nimmt, der viel weitreichender ist. Nämlich jene sogenannte „Silent War“ zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach. Eine gewaltvolle Auseinandersetzung, die bis dato immer noch Menschenleben kostet, über die jedoch – wie die Bezeichnung es schon vermuten lässt – fast niemand spricht.

Ebenso trifft Bargeld einen Nerv, wenn er im gleichnamigen Song nach der „Befindlichkeit des Landes“ fragt, über „Narbengelände“ schreitet, „künftige Ruinen“ betrachtet und eine über dem Land schwebende Melancholie wahrnimmt, die er im Refrain besingt.

 

Alle drei Beispiele fanden sich auf dem Konzert in der Philharmonie wieder, das mit dem Titel „Greatest Hits“ überschrieben war. Hatte man zuvor vielleicht noch gehofft, es werde ein etwas ironischer Umgang mit eben dieser Bezeichnung betrieben, so sah man sich leider einem ohne Zweifel professionellen, jedoch durchexerziert wirkenden Spektakel gegenüber. Die Band ist dermaßen lange im „Geschäft“, dass vielleicht der eine oder die andere sich fragt, ob dort ein Ausverkauf stattfindet. Gleichzeitig kann man sich aber auch fragen, ob es nicht etwas paradox ist, Profis ihre Professionalität und die Tatsache vorzuwerfen, dass sie das wiederholen, was ihrer langjährigen Erfahrung nach funktioniert.

Vor allem spielt die Erwartung sowie das gewollte Verdrängen seitens des Publikums in dieser Diskussion keine unwesentliche Rolle. Und dies gilt ebenso sehr für andere Bands und ihre Fangemeinde: Ob ein Konzert nun wirklich und wahrhaftig einzigartig ist oder doch eher eine Reproduktion in einer fast endlosen Abfolge, ist nicht für jeden oder jede von Relevanz. Spürt man genug in ebenjenem Moment, in dem man dabei sein darf, so kann der Umstand, dass man nur einer von vielen ist, denen immer wieder das Gleiche aufgetischt wird, in den Hintergrund rücken oder ganz egal werden. Vielleicht sogar nie wichtig gewesen sein.

Eins muss man den „Neubauten“ definitiv lassen: Sie scheinen ihre Anhängerschaft auch nach Jahren zu großen Teilen immer wieder in den Bann zu ziehen. Ob nun durch Tatsachen oder doch durch das, was ihre Zuhörerschaft in dieses zweifelsfrei wichtige Stück Musikgeschichte hineininterpretieren möchte.
Seine recht kurze Lesung im Casino abschließend verspielte Blixa Bargeld übrigens eine Flasche Wein. Sie sollte demjenigen oder derjenigen gehören, der oder die errät, an welchem Tag im Laufe der letzten mehr als 20 Jahre er keine Notizen gemacht hat, obwohl der Autor dies für gewöhnlich sehr stringent durchzieht. Wie der Zufall es so wollte, hat eine Tageblatt-Journalistin gewonnen. Sie glaubt zumindest, dass sie wirklich richtig geraten hat. Vielleicht hatte Bargeld aber auch nach den vielen falschen Antworten einfach kapituliert und wollte schlafen.