Kein neuer Flughafen in Nantes

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Nicht weit von Nantes entfernt, auf dem Grund der Gemeinde Notre-Dame, sollte seit 1963 ein Flughafen entstehen. Am Mittwochmittag hat die französische Regierung entschieden: Der Bau ist abgesagt.

Wer heutzutage in den Ort fährt und das Flughafengelände besichtigen will, kommt an Haufen von Reifen vorbei, an ausgebrannten Autowracks und fährt Zickzack, weil die Hindernisse rechts und links der Straße aufgebaut sind.

Der Flughafen wurde immer wieder heftig bekämpft

Das Gelände am Rande der Straße wird mit Stöcken geschützt, die wie Panzersperren mit den Spitzen nach oben im Boden stecken. Hier ist das Reich der ZAD, „Verteidigungszone“, in der gut 300 Menschen leben. Sie sind seit Jahren gegen den Flughafen, leben hier seit Jahren und haben ihre eigene Gemeinde gebaut. Hier gibt es eine Kommune, die Viehzucht betreibt, andere sind mit landwirtschaftlichem Anbau dabei. Es herrscht eine karge Idylle auf einem Gelände, das gut 1.650 Hektar umfasst.

Das Ganze hat einen Fehler. Nicht ein Quadratzentimeter des Geländes gehört ihnen, ist ihnen auch nicht verpachtet. Sie haben es sich angeeignet und sich darauf verschanzt. Sie wollten den Flughafen in einem Feuchtgebiet verhindern, weil sie strikt dagegen sind. Und das nun in verschiedenen Versionen seit gut 20 Jahren. Es sind dabei nicht nur „Kommunarden“, es sind auch Landwirte und Bewohner der umliegenden Dörfer, die sich dem Bau des Flughafens widersetzen.

Es gibt längst einen Flughafen

Denn: Nantes hat bereits einen Flughafen, auf dem 4,7 Millionen Passagiere im Jahre 2016 abgefertigt wurden. Die Bretagne insgesamt zählt sechs Verkehrsflughäfen, von denen Nantes der größte ist. Der Flughafen Saint- Jacques in der Hauptstadt Rennes fertigte vor zwei Jahren 641.000 Passagiere ab, Brest an der Spitze der Bretagne kam auf  eine Million, Dinard mithilfe von Ryanair auf 110.000, Lorient schließlich auf 127.000, um nur die wichtigsten aufzuzählen. Hinzu kommen drei Flughäfen für die allgemeine Luftfahrt (Privat- und Unternehmensflugverkehr).

Warum also einen großen Flughafen in Nantes, den mit Ausnahme der Lokalpolitiker viele nicht mehr wollen?

Seit den 60ern schrumpfen die Entfernungen

Die Flughäfenpläne

Die französische Regierung hat am Mittwochvormittag entscheiden, dass die bestehenden Flughäfen Brest und Nantes ausgebaut werden. Zudem soll die TGV-Verbindung von den Städten nach Paris verbessert werden.

Es gab keinen TGV zu Beginn der 60er Jahre. Der Eisenbahnverkehr war schlecht ausgebaut und unbequem. Das Flugzeug begann, die Reisen zu bestimmen. Man brauchte Flughäfen. Sie wurden überall gebaut oder Militärflughäfen wurden dem kommerziellen Flugverkehr geöffnet. Von Metz aus flog man in den 1990er Jahren noch in einer zweimotorigen Maschine nach Epinal, machte dort eine Zwischenlandung und flog dann nach Paris weiter. Eine Zugfahrt von Metz nach Paris, die heute in 45 Minuten absolviert ist, dauerte damals vier Stunden.

In dieser Zeit entstanden in Frankreich 462 Flughäfen, weil jede wichtige Stadt oder jedes wichtige Département seinen Flughafen brauchte. Selbst in den 1990er Jahren wurde zwischen Metz und Nancy noch ein neuer Flughafen gebaut, der bis heute nur Verluste produziert. Von den 337 Flughäfen, die dem öffentlichen Flugverkehr zur Verfügung stehen, haben nur 57 mehr als 3.000 Passagiere im Jahr 2016 befördert. Und nur zehn Flughäfen fertigten mehr als drei Millionen Flugzeuge ab. Frankreich besitzt eine Masse von Flughäfen, von denen nur eine kleine Minderheit rentabel ist. Der Rest kostet den Steuerzahler viel Geld.

In den 1960er Jahren sah man das anders. Es herrschte Euphorie. Nantes, so die Vorstellung, würde ein internationaler Hub werden wie Manchester. Transatlantik-Flüge sollten in Notre-Dame-des-Landes landen und die Passagiere dann nach Europa verteilen. Man dachte groß damals für Nantes. Nur: Aus dem Traum wurde nichts.

Die Ölkrise dämpft alle Euphorie

Die Ölkrise in den 1970er Jahren kam dazwischen mit einer wirtschaftlichen Flaute als Folge. Das Projekt verschwand für 25 Jahre in der Schublade. Und: Nantes hatte mit dem Flughafen „Nantes Atlantique“ ja einen Flughafen.

Lionel Jospin holte das Projekt wieder hervor und entstaubte es. Der sozialistische Premierminister brauchte eine neue Dynamik ins Land. Er privatisierte Staatsunternehmen, er entschied die Strecke des TGV über Metz nach Luxemburg und Saarbrücken nach Frankfurt. Gute acht Jahre lang arbeitet die französische Verwaltung an der Grundlage für den Flughafen. Dann erfolgt die öffentliche Ausschreibung, die zwei Jahre später der Konzern Vinci gewinnt.

Aber da hat sich der Protest bereits organisiert. Die Bauern wollen ihr Land nicht hergeben, die Abneigung gegen das Großvorhaben findet Zuspruch. Das Gelände wird besetzt. Als unter Staatspräsident Hollande die Baugenehmigung erteilt wird und der Baubeginn bevor steht, kommt es bei einem Räumungsversuch vor den Fernsehkameras zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Premierminister Jean-Marc Ayrault bricht die Räumung ab. Die Regierung setzt eine Konsultation der Bevölkerung an, begrenzt sie auf ein Département, das sich für den Bau ausspricht. Dennoch geschieht nichts. Die Regierungen unter Präsident Hollande hüten sich, noch einmal eine Räumung zu versuchen.

Sorge vor der Eskalation

In der Verteidigungszone haben die 300 begonnen, sich auf eine Verteidigung ihres Lebensraumes vorzubereiten. Französischen Presseberichten zufolge sollen sich in der Regierung Experten aus dem Ministerium des Inneren, der Verteidigung und der Justiz beraten, wie man ohne Verletzte oder Tote das Gelände räumen kann. Denn in der öffentlichen französischen Meinung hat sich zwar der Gedanke durchgesetzt, dass man räumen muss – aber das kann sich bei ungeschicktem Vorgehen der Einsatzkräfte schnell ändern.

Staatspräsident Macron geht nach seiner eigenen Methode vor. Eine Kommission hat einen Expertenbericht vorgelegt. Was sie genau vorschlägt, ist nicht bekannt. Im Gegensatz zu früheren Staatspräsidenten hat Macron durchgesetzt, dass, wenn etwas nicht bekannt werden soll, es auch nicht bekannt wird.

Premierminister Edouard Philippe hat Konsultationen angesetzt. Seit fast zwei Wochen empfängt er alle Betroffenen, machte am vergangenen Samstag einen Überraschungsbesuch vor Ort. Die Lokal- und Regionalpolitiker sprechen sich alle für den neuen Flughafen aus. Bis auf einen: Philippe de Villiers, Politiker im Ruhestand, einst Gegner Europas, spricht sich dafür aus, den Empfangsbereich des derzeitigen Flughafens auszubauen und es beim heutigen Zustand zu belassen.

„Es gibt keinen Grund mehr, Notre-Dame-de-la-Lande zu bauen“, sagt er. „Nantes wird nie ein internationaler Hub. Die Verkehrssituation hat sich in den vergangenen 60 Jahren völlig verändert. In Europa gibt es heutzutage mit München, Frankfurt, den Pariser Flughäfen und London europäische Hubs, von denen aus die Passagiere sich mit Zubringerflügen innerhalb Europas verteilen. Aber“, fügt er einem Interview im französischen Fernsehen an, „die 1.650 Hektar müssen geräumt werden. Die Leute dort besetzen Land, für das sie keinen Vertrag haben und das ihnen nicht gehört.“ Eine genau entgegengesetzte Meinung vertritt die Bürgermeisterin von Nantes. Aber da vermutet man ein gigantisches Immobilienprojekt. Ein neues Nantes könnte auf dem Gelände des derzeitigen Flughafens entstehen.

Möglicherweise wird Präsident Macron bei dem Problem des Geländes ansetzen und nicht von einer Vertreibung ausgehen. Im Gespräch ist eine Sondernutzungszone, mit der man den 300 Kommunarden entgegenkommen könnte.

Der seit über 50 Jahren bestehende gordische Knoten mit dem Namen Notre-Dame-de-la-Lande ist durchschlagen worden. Nach den Präsidenten Chirac, Sarkozy und Hollande hat Macron sich das vorgenommen. Er hatte es in seinem Wahlkampf versprochen. In Frankreich weiß man mittlerweile, dass er tut, was er verspricht. Und jetzt ist der Traum vom Flughafen in Nantes ausgeträumt.

Helmut Wyrwich
18. Januar 2018 - 8.43

Entschuldigung für den Rechenfehler

Schuller piir
17. Januar 2018 - 19.19

Sinn Joergang 63! Wollt elo Pensioun ufroen.

knujhel
17. Januar 2018 - 16.22

"1963 ein Flughafen entstehen. Das ist 65 Jahre her." Ech rechnen do nëmme 55 Joer...