40 Jahre „Route du Rhum“: Wenn die Segelschiffe über den Atlantik fliegen

40 Jahre „Route du Rhum“: Wenn die Segelschiffe über den Atlantik fliegen

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Frankreich blickt seit Tagen in die bretonische Hafenstadt St. Malo. Der Grund: eine mythische Segelregatta, die in diesem Jahr 40 Jahre alt wird und Segler aus der ganzen Welt anzieht. Eine Regatta nach dem Motto: „Eine Frau/ein Mann, ein Boot und der Ozean“.

Es ist kalt an der „Pointe du Grouin“ an diesem Sonntagmorgen. Der Wind weht kräftig mit 50 Stundenkilometer. Das Meer hat eine blau-grüne Farbe. Das Wasser ist kalt. Es ist unruhig, „kabbelig“, mit kurzen Wellen, die später einen Meter hoch werden. Von der Spitze der Bretagne her wird schlechtes Wetter verkündet. Bis zum Mittag soll es St. Malo allerdings nicht erreichen. „Wir wissen, dass wir zwei Tage schlechtes Wetter haben werden“, sagt Sébastien Josse, Skipper einer der Super-Yachten, die nicht mehr im Wasser schwimmen, sondern über das Wasser fliegen. „Aber danach haben wir die Alizé-Winde.“ Es sind die zwischentropischen Winde, die stetig von Osten nach Westen wehen, mit Temperaturen um die 23 Grad.

Mit der Flut am Samstagnachmittag hat die Parade der 123 Segelschiffe begonnen, die sich um 14 Uhr auf den 6.550 Kilometer langen Weg zur Insel Guadeloupe begeben haben. Die 123 Boote mit Skippern aus Frankreich, Großbritannien, Belgien, Deutschland, USA, Japan, Schweden und Australien mussten in zwei Etappen im Hochwasser das Hafenbecken verlassen, 79 am Samstag zwischen 15 und 18 Uhr, in der Nacht zum Sonntag zwischen Mitternacht und vier Uhr morgens die restlichen Boote. St. Malo verzeichnete in den vergangenen Jahren mehrfach Rekorde. Zehn Tage mussten die Boote am Quai im Hafenbecken liegen, damit die Schiedsrichter die Ausrüstung kontrollieren konnten. Bis zur Ausfahrt aus der Schleuse gab es eine Million Besucher, die sich an den Quais drängten. Hotels waren seit Monaten ausgebucht, in vielen Restaurants gab es ohne Reservierung keine Chance, einen Tisch zu ergattern. Kilometerlange Staus, auch auf der Autobahn, verlangten Besuchern viel Geduld ab.

Frankreich ist, mit seinen 3.400 Kilometern Küste, ein Segel-Land. Die Bretagne ist wegen ihrer extremen Exposition durch das Meer das Labor für moderne Segelyachten. An ihrer Südküste rund um Lorient sind die großen französischen, aber auch belgischen und deutschen Segler zu Hause, die so die besten Voraussetzungen für das kontinuierliche Training finden. Frauen sind in diesem als „männlich“ geltenden Sport selten. Als einzige Frau bisher hat Florence Arthaud die „Rhum-Regatta“ 1990 gewonnen. Auch jetzt steuern nur sechs Frauen ein Boot in der Atlantik-Überquerung, unter ihnen Morgane Ursault Poupon. Die 32-jährige Britin, die in St. Malo wohnt, wurde in dem Jahr geboren, in dem ihr Vater die Regatta gewann.

Ein Mythos entsteht

Die „Rhum-Regatta“ war ursprünglich eine britische. Sie war schlicht eine Atlantik-Überquerung. Als aber die Briten begannen, die Boote auf eine Länge von 17 Metern zu beschränken, übernahmen die Franzosen die Regatta. Die britische Beschränkung hätte eine Entwicklung des Segelns und damit die bretonische Werft-Industrie behindert. Von St. Malo brach einst Jacques Cartier auf, um den Sankt-Lorenz-Strom zu entdecken. Mit dem legendären Freibeuter Surcouf hat die Inselstadt einen anderen legendären Helden. Die Regatta von St. Malo nach Pointe-à-Pitre lief daher vor 40 Jahren beinahe automatisch auf die vom Meer umgebenden Mauern zu.

Atlantik-Regatten gibt es viele, wie etwa die Transat Jacques Vabre oder die Transat Bakerly. Dennoch: Die Regatta aus dem Herbst/Winter in Europa in den beginnenden Sommer der Antillen wurde gleich bei ihrer ersten Austragung zum Mythos. Der völlig unbekannte Kanadier Mike Birch, heute 84 Jahre alt, siegte nach 6.552 zurückgelegten Kilometern in einer dramatischen Schlussphase mit 98 Sekunden Vorsprung vor dem Franzosen Michel Malinovski. Eine Replik dieses elf Meter langen gelben Trimarans des ersten Siegers wurde liebevoll hergerichtet und wird in diesem Jahr von Loïck Peyron, französische Segellegende, durch den Atlantik nach Guadeloupe gesteuert. Allerdings ist bekannt, dass, wenn das Wetter sehr schlecht wird, Loïck Peyron sein Leben nicht aufs Spiel setzen und den nächsten Hafen anlaufen wird.

Eine Woche, nicht mehr als ein Sprint

Diese erste Regatta aus dem Jahre 1978 hat mit dem Renn-Segelsport von heute nichts mehr gemein. Der Segelsport ist von den Booten her die Sportart, die sich am schnellsten entwickelt. Die neue Generation der Boote ist weitgehend automatisiert, digitalisiert. Solarpaneele haben ihren Einzug gefunden, bedecken die Kajüten-Dächer. Die nächste Neuerung existiert auch schon. Wasserstoff, der an Bord hergestellt wird, hält als Energiequelle Einzug. Frankreich gilt als das einzige Land, das noch über zwei Unternehmen zur Technologie-Entwicklung von Langstreckenseglern verfügt. „Der Nautik-Anteil beträgt 70 Prozent unserer Aktivität“, sagt Dominique Dubois, Chef der Firma Multiplast, der selber in diesem Jahr an der Regatta teilnimmt. Der Rest entfällt auf die Industrie, die Luftfahrt und die Militärtechnik. „Die Forschungsergebnisse der einzelnen Bereiche befruchten sich gegenseitig“, sagt Dubois.

Die Spitzentechnologie wird zunächst allerdings nur in den Spitzenprodukten voll genutzt werden. Die Stars der Regatta sind sechs Boote, „Ultime“. Sie sind 32 Meter lang, 22 Meter breit und mit dem Mast bis zu 35 Meter hoch. Es sind Trimarane. Drei von ihnen werden nicht mehr im Wasser segeln. Sie „fliegen“ über das Wasser: „Macif“ mit dem Sieger der Weltumseglung Vendée Globe, François Gabart, von 2012. „Maxi Solo Banque Populaire“ mit dem Sieger der Vendée Globe von 2016, Armel Le Cléac’h, und „Maxi Edmond de Rothschild“ mit dem Sieger der Transat Jacques Vabre 2013. Die Entwicklung dieser „Mehr-Kiel-Boote“ mit den Foils geht direkt auf die Anforderung der „Rhum-Regatta“ zurück. Es sind Sprintboote. Armel Le Cléac’h probierte knapp vor dem Start die Macht seiner Yacht aus und ließ sie bis auf eine Geschwindigkeit von 70 km/h fliegen, stoppte sie dann ab. Der Skipper war zufrieden. „Banque Populaire“ war fertig für die Transatlantik-Überquerung und flog knapp eine Minute nach dem Start bereits über das Wasser wie auch Konkurrent „Macif“.

Die Herstellung der Boote kann bis zu 12 Millionen Euro kosten. Der finanzielle Umfang kann bis zu 50 Millionen Euro betragen, gesichert in der Regel durch Sponsoring. Es ist allerdings nicht nur das große Geld, das die Segler anzieht. Insbesondere bei den traditionellen Kielbooten opfern Amateure ihr Geld. 90.000 Euro zahlt ein Amateur für die Anmeldegebühr, die Herrichtung des Bootes und den Aufenthalt in St. Malo. Allein die Anmeldegebühr kostet für die in sechs Klassen unterteilten Boote zwischen 80.000 und 6.000 Euro pro Boot. Dabei ist er je nach Wetterlage nicht einmal sicher, auch wirklich anzukommen.

Favorit und Weltumsegler Armel Le Cléac’h betrachtet die Regatta als einen großen Sprint. „Eine kleine Woche“, meint er, dürfte sie wohl dauern. Das zeigt den technischen Fortschritt im Profi-Segelsport. Mike Birch hatte zu seinem Sieg noch mit seinem kleinen gelben Trimaran 23 Tage und sechs Stunden gebraucht. Loïck Peyron benötigte in seinem „Ultime“-Rennboot bei der letzten Austragung 2014 dann sieben Tage und 15 Stunden. Die Favoriten in diesem Jahr meinen, dass man es in sechs Tagen schaffen kann.