38+ bei CSL und mehr Delegierte: Der OGBL-Präsident André Roeltgen über die Ziele bei den Sozialwahlen

38+ bei CSL und mehr Delegierte: Der OGBL-Präsident André Roeltgen über die Ziele bei den Sozialwahlen

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Mehr als eine halbe Million Menschen sind aufgerufen, sich an den Sozialwahlen zu beteiligen: Für die Gewerkschaften steht viel auf dem Spiel; es geht neben den Kräfteverhältnissen in der Arbeitnehmerkammer auch um die Personaldelegationen in den Betrieben. Wir sprachen mit André Roeltgen, dem Präsidenten der größten Gewerkschaft Luxemburgs, über diese Herausforderungen.

„Wahlen sind Wahlen …“, wiegelt OGBL-Präsident André Roeltgen auf die Frage ab, ob die absolute Mehrheit bei der „Chambre des salariés“ (CSL) nicht ohnehin ungefährdet sei, „… und diese sind nie im Voraus gewonnen oder verloren.“

Der OGBL habe während der zwei Mandatsperioden (in denen die CSL nach der Umsetzung des „statut unique“ als solche funktioniert) die absolute Mehrheit in der Arbeitnehmerkammer gehabt und gehalten und eine gute Arbeit geleistet; jedenfalls habe er bislang noch keine Kritik, von keiner Seite, hieran gehört.

Auch wenn das Proporzwahlsystem für die CSL es nicht einfach gestalte, die Zahl der Delegierten zu erhöhen – die Spielräume für den Ausbau der Delegiertenzahl würden enger, so Roeltgen –, laute das Ziel des OGBL dennoch 38+.

Bei den Personaldelegationen werde ebenfalls ein Ausbau angestrebt (aktuell kann die Gewerkschaft auf etwa 200 ausgehandelte Kollektivverträge verweisen, es sollen deren mehr werden).

Die jüngsten Erfolge, etwa im Pflegesektor oder im Baubereich, seien Teil einer allgemein positiven Bilanz des OGBL auf verschiedenen Ebenen. Eine Bilanz, die eben auch mit der Position der Stärke zusammenhänge, die reinen sektoriellen Interessenvertretungen fehle. In diesem Zusammenhang auf die aktuellen Probleme der Aleba angesprochen (wir berichteten über die Demission ihres Präsidenten) meinte Roeltgen, er wolle dies nicht kommentieren. Was er aber kommentieren wolle, sei die Tatsache, dass die Tarifabschlüsse nicht so weit gingen, wie sie es hätten können, da diese Abkommen eben unter Federführung einer rein sektoriellen, korporatistischen Interessenvertretung (der Aleba) mit begrenzten Mitteln und deshalb eher kompromissbereit ausgehandelt wurden.

Das Kampfmittel Streik

Um einen heftigen Sozialkampf bestehen und gewinnen zu können, brauche es entsprechende logistische und finanzielle Mittel; dennoch bleibe der Streik das letzte Mittel des gewerkschaftlichen Kampfes in einer sozialen Auseinandersetzung, so der OGBL-Präsident auf die Frage, ob die Arbeitsniederlegung nach dem erfolgreichen Streik im Pflegesektor eine Renaissance in Luxemburg erlebe.

Vor der Verweigerung der Arbeit – hierum handele es sich bei einem Streik – versuche die Gewerkschaft im Rahmen von Verhandlungen mit den Arbeitgebern, die bestmöglichen Resultate im Interesse der Angestellten zu erreichen.

Es komme allerdings immer wieder zu Situationen, in denen die konfliktgeladenen Auseinandersetzungen auch über den Weg der Schlichtung oder weiterer gewerkschaftlicher Aktionen (wie Protestveranstaltungen und größere Kundgebungen) keine Einigung bringen und nur der Streik als allerletztes Mittel bleibe.

Davon abgesehen könne der OGBL eine durchaus positive Bilanz der letzten Jahre vorlegen, so der Präsident, der als Erstes auf den Index verweist. Massive Angriffe auf das System der Anpassung der Gehälter an die Inflation konnten abgewehrt werden. Daneben nennt Roeltgen die Lohnoffensive, die der OGBL zusammen mit dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) startete, und die erste Erfolge aufweise. Es gehe hier um eine gerechte Verteilung der Produktivitätsgewinne.

Mehr Dividenden als Lohn

Die Dividenden der Aktionäre entwickelten und entwickeln sich unverhältnismäßig im Vergleich zu den Löhnen, eine Ungerechtigkeit, die unter anderem zu Unzufriedenheit und zum Aufschwung von rechtspopulistischen bis rechtsextremen Parteien führt. Deshalb fordert der EGB denn auch einen europaweiten Mindestlohn, der bei 60 Prozent des Medianlohnes liegt. Auf Luxemburg übertragen entspricht dies der OGBL-Forderung von 10 Prozent mehr Mindestlohn. Es gehe nicht an, so Roeltgen, dass Menschen, die 40 Stunden arbeiten, nicht normal von diesem Einkommen leben können. Ein erster Erfolg konnte hier errungen werden, dies (0,9 Prozent Erhöhung) reiche allerdings noch nicht.

Auch bei der Arbeitszeit, so der OGBL-Präsident, habe die Gewerkschaft erste Erfolge erzielt. Zum einen konnte das Vorhaben der Arbeitgeber, eine komplette Deregulierung durchzusetzen, im Rahmen des PAN-Gesetzes verhindert werden. Andererseits forderte die Gewerkschaft eine sechste Urlaubswoche für alle – eine Forderung, die auch weiterhin gilt – immerhin wurde nun ein Tag zusätzlicher Urlaub und ein weiterer Feiertag zugesagt. Die Bedeutung des 26. Urlaubstages sei nicht zu unterschätzen, immerhin verfügten rund 50 Prozent aller Beschäftigten über keinen Kollektivvertrag und seien somit auf Verbesserungen im allgemeinen Arbeitsrecht angewiesen.

Renten: Keine Verschlechterungen

Die Rentenkasse, so fährt Roeltgen fort, sei gesund, verfüge über große Geldreserven: Es sei somit ein Anliegen seiner Organisation, dass es diesbezüglich keine Verschlechterungen der Leistungen geben dürfe. Im Gegenteil, es sei Spielraum da, um die Reform aus dem Jahre 2013 zurückzunehmen.

Bei der Pflegeversicherung werde der OGBL die Entwicklung genau im Auge behalten und im Falle etwaiger Fehlentwicklungen zum Nachteil der Versicherten die Regierung in die Pflicht nehmen. Auch das Versprechen der Regierung, die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften zu stärken beziehungsweise an die gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen, dies im Rahmen der Kollektivvertragsgesetzgebung, müsse erfüllt werden.

Die aktuelle Gesetzgebung sei veraltet, entstamme der Zeit, als Industrie und Großbetriebe die Regel waren und passe nicht mehr in die aktuelle wirtschaftliche Realität; die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften sei somit infrage gestellt.
Beispielhaft für die Bedeutung von Kollektivverträgen zum beidseitigen Nutzen und für die Rolle, die von der Politik in dem Zusammenhang gespielt werden könne, so Roeltgen weiter, sei das anstehende Gesetz zu den Zeitsparverträgen. Hier ist die Voraussetzung zur Umsetzung eben ein Kollektivvertrag oder ein interprofessionelles Abkommen. Diese Methode, ein gesetzlicher Rahmen und die Regelung der Details durch betriebliche Abkommen, sei der richtige Weg.

Neben einer ganzen Reihe weiterer Forderungen wie einer restriktiveren Gesetzgebung für untypische Arbeitsverhältnisse (zeitlich befristete Verträge, Scheinselbstständigkeit), Verbesserungen der Leistungen der Krankenkasse, Anpassung der Familienleistungen nicht nur an den Index, sondern auch an die Entwicklung des Medianlohnes, und einer gerechteren Steuerpolitik (höhere Besteuerung der Kapitalerträge statt der Arbeit sowie die Indexierung der Steuertabelle als Maßnahme gegen die „kalte Progression“) stellt die Gewerkschaft aber auch eher allgemeinere politische Forderungen.

Aufruf zu Ostermärschen möglich

Auf Nachfrage, ob der Aufruf zu Abrüstung, den Roeltgen während des Kandidatentreffens vergangene Woche im Limpertsberger „Tramsschapp“ machte, nostalgische Gründe hatte, verneint er vehement. Die Menschen müssten der Politik erneut klarmachen, dass sie nicht damit einverstanden sind, dass Gelder in Rüstung gesteckt werden.

Es sei durchaus möglich, dass der OGBL angesichts der aktuellen Situation wieder zu Ostermärschen aufrufe. „Wir brauchen das Geld für sinnvolle Investitionen“, so Roeltgen, der bereits vor fast 40 Jahren an den großen Friedenskundgebungen in Bonn und anderswo teilnahm.

Zum Ende des Gesprächs ist dem OGBL-Präsidenten wichtig zu betonen, dass so viele der Wahlberechtigten wie möglich ihre Stimme abgeben sollten. Allein dies sei ein wichtiges Signal, eine hohe Wahlbeteiligung stärke die Arbeitnehmerkammer und somit das ganze Salariat.