BürgerinitiativeVereinigung „Eis Stad“ setzt sich für mehr Bürgerbeteiligung in Luxemburg ein

Bürgerinitiative / Vereinigung „Eis Stad“ setzt sich für mehr Bürgerbeteiligung in Luxemburg ein
Johannes Birgmeier (l.) und Nico Meyrer von der Vereinigung „Eis Stad“ wollen die Bürgerbeteiligung in Luxemburg institutionalisieren Foto: Editpress/Alain Rischard

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Die Stadt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vom Lebensraum zur Spielwiese für Kapitalanleger entwickelt. Die Stadt Luxemburg ist in besonderem Maße von dieser Entwicklung betroffen. Elf Gruppen von Privatpersonen und elf Privatgesellschaften verfügen zusammen über 63% des Baulands mit einem Gesamtwert von 3,8 Milliarden Euro. Diese Machtkonzentration erlaubt es ihnen, die Stadtentwicklung entscheidend mitzuprägen. Der Schöffenrat hat sie bislang nicht daran gehindert. Mit dem Resultat, dass seelenlose Viertel wie Kirchberg oder „Ban de Gasperich“ entstanden, die zum Sinnbild einer verfehlten Stadtplanung geworden sind. Um solche Fehlplanungen künftig zu verhindern und den Bürgern mehr Mitspracherecht zu gewähren, haben Einwohner der Stadt Luxemburg die Vereinigung „Eis Stad“ gegründet. Vordergründig will sich die Initiative an der Gestaltung des neuen Wohnviertels am „Stade Josy Barthel“ beteiligen. Längerfristig will sie die Bürgerbeteiligung in Luxemburg institutionalisieren.

Am kommenden Dienstag, 28. Januar, wird die Bürgervereinigung „Eis Stad“ ein Rundtischgespräch im „Casino – Forum d’Art Contemporain“ organisieren. Unter der Leitfrage „Wem gehört die Stadt?“ wird es dabei vordergründig um die kritische Bewertung der sieben Projekte gehen, die die Stadt Luxemburg zur Gestaltung des Geländes an der route d’Arlon ausgewählt hat. Doch die Frage „Wem gehört die Stadt?“ soll auch aus einer allgemeineren, soziologischen Perspektive betrachtet werden. „Zum Thema Bürgerbeteiligung ist es die Frage schlechthin. Die Bürger sind eigentlich immer da. Die Politiker bleiben im Zweifelsfall nur eine Legislaturperiode”, erläutert der Architekt und Mitinitiator der Vereinigung, Johannes Birgmeier (51). Bei langfristig angelegten Projekten sei das problematisch, denn wenn bestimmte Entscheidungen erst einmal getroffen seien, könnten sie nur noch schwer rückgängig gemacht werden, selbst wenn die politische Mehrheit sich ändere. Deshalb müssten größere Bauvorhaben zusammen mit den Bürgern aufgestellt werden.

Obwohl sich in der Stadt Luxemburg die bebaubaren Grundstücke im Besitz einer elitären privaten Minderheit befinden – elf Gruppen von Privatpersonen und elf Privatgesellschaften verfügen zusammen über 63% des Baulands mit einem Gesamtwerk von 3,8 Milliarden Euro –, könne der Gemeinderat über den Flächennutzungsplan (PAG) und die Teilbebauungspläne (PAP) auf die Umsetzung von Bauprojekten auf diesen Grundstücken maßgeblichen Einfluss nehmen, betont Birgmeier. Über die Bürgerbeteiligung könnten auch die Einwohner an diesem Prozess teilnehmen.

In seinem Werk „Rebellische Städte“ fordert der britische Sozialanthropologe David Harvey, in Anlehnung an den französischen Soziologen Henri Lefebvre, ein „Recht auf Stadt“ und sieht in der Stadt den zentralen Ort für die Mobilisierung antikapitalistischer Bewegungen. Einen radikalen Systemwechsel fordert „Eis Stad“ zwar nicht, doch aufgrund der herrschenden Besitzverhältnisse müsse man durchaus „sozialkritischer“ werden, unterstreicht Nico Meyrer (61), Sekundarschullehrer und Vorsitzender des Interessenvereins Merl-Belair. Die aktuelle Preisentwicklung auf dem Immobilienmarkt sei das „schlimmste Geschwür“ in der Stadt Luxemburg. Die Immobilien gehörten einer preistreiberischen Minderheit, junge Menschen hätten Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden, begründet er den Ansatz. Johannes Birgmeier stellt seinerseits fest, dass „wir inzwischen über das Revolutionäre hinaus seien“. Klagen könnten heute ein geeignetes Mittel sein, um etwa gegen zu hohe Mieten vorzugehen. „Die Stadt gehört den Bürgern“, betont Birgmeier.

Plattform für demokratische Partizipation

Die Hauptstadt-Sektion der Partei „déi gréng“ hatte Anfang 2019 einen Workshop organisiert, um Ideen für die Neugestaltung des 10 Hektar großen Wohnviertels rund um das Josy-Barthel-Stadion zu sammeln. Um auch Menschen anzusprechen, die sich mit den Grünen nicht identifizieren können, beschlossen einige Teilnehmer dieses Workshops, eine überparteiliche Bürgerinitiative zu gründen. Durch die Auseinandersetzung mit dem Projekt an der route d’Arlon entwickelten die Mitglieder der Initiative im Laufe der Zeit das Bewusstsein, dass es insgesamt an Bürgerbeteiligung mangelt. Nach Weihnachten 2019 gründeten sie deshalb die Vereinigung „Eis Stad asbl.“, deren Ziel es ist, die Bürgerbeteiligung in Luxemburg zu institutionalisieren, erklärt Johannes Birgmeier. Mittel- bis langfristig könnte auf diese Weise eine Plattform für demokratische Partizipation bei Bauprojekten entstehen.

„Wenn Bürger bei uns Mitglied werden wollen, die in einer anderen Gemeinde aktiv sein wollen, können wir unsere Erfahrungen und unser Wissen mit ihnen teilen“, sagt Nico Meyrer. Meyrer ist zwar Mitglied der Grünen und hat für die Partei bei den Gemeindewahlen kandidiert, doch auch er unterstreicht den unpolitischen Charakter der Vereinigung. Bislang beschränkt sich der Aktionsradius von „Eis Stad“ auf die Stadt Luxemburg. Mit nur acht aktiven Mitgliedern befindet sich die Vereinigung noch im Aufbau und richtet ihr Augenmerk erst einmal auf die Mitgestaltung des neuen Viertels am Stade Josy Barthel.

Meist ist es so, dass die Bürger erst dann interessiert sind, wenn ein Haus abgerissen oder eine Baugrube gegraben wird. An dem Punkt ist aber schon so viel entschieden, dass durch Bürgerbeteiligung nichts mehr zu verändern ist.

Johannes Birgmeier, Architekt und Mitbegründer von „Eis Stad“

Wie „Eis Stad“ diese Bürgerbeteiligung konkret bewerkstelligen will, ist noch unklar. Patentrezepte und fertige Lösungen gebe es nicht, deshalb wolle man sich in den kommenden Wochen zusammensetzen und ein Konzept ausarbeiten, erklärt Birgmeier. Inspirieren lässt sich die Vereinigung von Initiativen in Städten wie Köln und Saarbrücken oder in der Region Ostbelgien. Voraussetzung für Bürgerbeteiligung sei Transparenz. „Meist ist es ja so, dass die Bürger erst dann interessiert sind, wenn ein Haus abgerissen oder eine Baugrube gegraben wird. An dem Punkt ist aber schon so viel entschieden, dass durch Bürgerbeteiligung nichts mehr zu verändern ist“, erläutert der Architekt, der bereits vor zehn Jahren an der Renovierung der Limpertsberger Kultkneipe „Café des Tramways“ beteiligt war. Um etwas in die Hand nehmen zu können, müsse die Partizipation schon zu Beginn der Projektentwicklung ansetzen. Die Bürger müssten vom Anfang bis zum Ende des Planungsprozesses eingebunden werden, fordert Nico Meyrer. Immer wieder müssten Zwischenresultate vorgestellt und hinterfragt werden.

Beim geplanten „Wunnquartier Stade“ an der route d’Arlon lief der Beteiligungsprozess nach Einschätzung von „Eis Stad“ alles andere als optimal. Obwohl die Bürgerinitiative bereits im Frühjahr 2019 in Kontakt mit der Stadt Luxemburg stand, hat sie vom Ideenwettbewerb erst aus der Presse erfahren. „Zehn Tage vor der Pressekonferenz haben wir noch mit der Stadt kommuniziert, doch es kam keine Information über den Wettbewerb“, bedauert Johannes Birgmeier. Mit dem Lastenheft, das dem Ideenwettbewerb zugrunde lag, sind die Mitglieder der Initiative nicht zufrieden. Jetzt könne man das Lastenheft nur noch kritisch analysieren, aber nicht mehr mitgestalten. „Im Sinne einer positiven Bürgerbeteiligung hätte die Stadt vor der Erstellung des Hefts eine Bürgerumfrage machen und die Resultate einfließen lassen müssen“, unterstreicht Meyrer. Es sei zwar positiv zu bewerten, dass das neue Viertel laut Lastenheft autofrei und klimaneutral sein sollte, doch diese Vorgaben seien nur als Anregungen formuliert. Stattdessen hätten sie verpflichtend sein müssen, kritisiert Birgmeier. Alternativ hätte man auch die Projekte von Architektenteams in Zusammenarbeit mit interessierten Bürgern ausarbeiten lassen können, wie es beispielsweise bei der Neugestaltung der Industriebrache Esch-Schifflingen passiert ist.

Im Sinne einer positiven Bürgerbeteiligung hätte die Stadt vor der Erstellung des Hefts eine Bürgerumfrage machen und die Resultate einfließen lassen müssen

Nico Meyrer, Mitbegründer von „Eis Stad“

Weitere Kritik übt die Bürgerinitiative daran, dass seit Dienstag nur die Projekte der sieben Gewinner des Ideenwettbewerbs im Rathaus ausgestellt sind. „Wieso zeigt man nicht alle 35 Projekte? Wieso kann man die Entwürfe nur im Rathaus sehen, wieso werden sie nicht online gestellt?“, fragt Birgmeier. Auf diese Weise könnte die Stadt mehr Menschen erreichen.

Kritiken und Vorschläge sammeln

Bis 1. Februar dürfen die Bürger nun Kritiken und Anmerkungen zu den Gewinnerprojekten einreichen. Allerdings würden an den Aushängen wichtige Informationen fehlen. So sei zum Beispiel nicht präzisiert, wie viele zusätzliche Einwohner die einzelnen Entwürfe mit sich bringen, bemängelt der Architekt. Für einen Laien sei dies alleine anhand der dargestellten Baudichte nicht zu erkennen.

Um den Bürgern die Beteiligung zu vereinfachen, will „Eis Stad“ im Rahmen der Veranstaltung am kommenden Dienstag im Casino Kritiken und Vorschläge sammeln, veröffentlichen und anschließend der Stadtverwaltung überreichen. Zusätzlich hat die Vereinigung eigene Forderungen formuliert. So verlangt sie, dass die Mehrheit der Wohnungen im neuen Viertel im Besitz der Stadt bleiben muss. Es müssten vor allem Mietwohnungen geschaffen werden. Wenn Eigentumswohnungen entstehen, dann sollen sie über Erbpachtverträge veräußert werden. Die geplante Tennisanlage will „Eis Stad“ nicht in dem Viertel. Stattdessen will sie mehr Grünflächen, Spielplätze und Sportanlagen, die nicht nur von Vereinsmitgliedern, sondern von allen genutzt werden können. Die viel befahrene route d’Arlon müsse in Stadtnähe unterirdisch verlegt werden, sodass über dem Tunnel ein öffentlicher Platz entstehen könne, fordert Birgmeier. Öffentliche Plätze, die gemeinschaftlich genutzt werden, seien in der Stadt Luxemburg häufig durch „Bespaßung“ besetzt. Mit diesem Begriff bezeichnet der Architekt von der Stadtverwaltung eingekaufte Aktionen, die lediglich der Unterhaltung dienen. Dabei seien öffentliche Plätze wichtig, um den sozialen Austausch und Begegnungen zu fördern.

Die DP-Bürgermeisterin der Stadt Luxemburg, Lydie Polfer, hat die Einladung zum Rundtischgespräch am kommenden Dienstag abgelehnt. Zugesagt haben hingegen der grüne Abgeordnete und Gemeinderat François Benoy, der linke Gemeinderat Guy Foetz und ASTI-Präsidentin Laura Zuccoli. Zusammen mit dem Präsidenten von „Eis Stad“, Winfried Heidrich, werden sie die Fragen der Bürger beantworten.

Lesen Sie hierzu auch den Kommentar von unserem Autor.

J.C.Kemp
27. Januar 2020 - 13.21

Noch ein (bezahltes) Gremium mit weiteren redenden Politikern, ohne viel Ergebnis ausser Geldver(sch)wendung. Nein danke!