KinoDer nette Serienkiller von nebenan: Filmfestival Max Ophüls startet mit „Darkroom“

Kino / Der nette Serienkiller von nebenan: Filmfestival Max Ophüls startet mit „Darkroom“
In der Haft ans Bett fixiert: Damit beginnt der auf einer wahren Begebenheit beruhende Film „Darkroom“ über einen Serienkiller   Foto: Filmfestival Max Ophüls

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Niemand Geringeres als Rosa von Praunheim (77), eine der schillerndsten Figuren des deutschen Kinos, hat am Montagabend das Filmfestival Max Ophüls in Saarbrücken eröffnet. An ihn ging auch der Ehrenpreis. Die Ikone der Schwulen- und Lesbenbewegung in Deutschland legt mit „Darkroom“ sein neues filmisches Werk vor. Die Geschichte dreht sich um das Leben eines homosexuellen Serienmörders.

Der Fall Dirk P. erschüttert 2012 die Schwulenszene in Berlin. Angst und Schrecken verbreitet sich, als drei homosexuelle Tote innerhalb kurzer Zeit gefunden werden. Zwei weitere Opfer überleben nur, weil bei einem von ihnen rechtzeitig Hilfe kommt und das letzte Opfer lediglich an dem Giftcocktail nippt. Regionale und überregionale Medien berichteten über den aus Saarbrücken stammenden, damals 37-jährigen Krankenpfleger, der zum Studieren und der Liebe wegen nach Berlin geht und mit K.-o.-Tropfen tötet.

Eines seiner Opfer bringt er im „Darkroom“, einer bekannten Berliner Schwulenkneipe um, was dem Film den Titel einbringt. „Liquid Ecstasy“ ist damals wegen der berauschenden und enthemmenden Wirkung in der Partyszene beliebt. In höheren Dosen wirkt die Droge einschläfernd, eine Überdosis ist tödlich. Auf der Jagd nach unbedarften Opfern zieht Dirk P. mit Schnapsflaschen voll davon los. Ein Überwachungsvideo überführt den von Zeugen im Prozess als „sympathisch, zurückhaltend und unauffällig“ beschriebenen Täter.

In Haft ans Bett fixiert 

Von Praunheim lässt die Erzählung im Krankenhaus der Haftanstalt beginnen, wo der hochgradig suizidgefährdete Insasse die Tage im Bette fixiert in einer Einzelzelle verbringt. In Rückblenden und teilweise überzogen inszenierten Szenen aus dem Gerichtssaal erzählt der Regisseur vom Leben des Mörders. Dirk P. wächst bei seiner Großmutter auf und muss als Junge nach dem Tod des Großvaters „den Mann im Haus“ ersetzen. In der Schwulenszene Saarbrückens entdeckt er später seine Veranlagung und lernt die Liebe seines Lebens kennen.

Das Festival

154 Filme werden in den nächsten Tagen in Saarbrücken gezeigt. 63 davon laufen in den vier Wettbewerbskategorien Dokumentar- und Langfilm, mittellanger Film und Kurzfilm. Das Max-Ophüls-Festival, das bedeutendste für den filmischen Nachwuchs im deutschsprachigen Raum, geht bis zum 26. Januar 2020.

Roland und Sven, wie der Mörder im Film heißt, gehen nach Berlin. Sven arbeitet nach der Fälschung seines Abiturzeugnisses und anschließendem Studium als Referendar an einer Berliner Schule. Kollegen sagen, dass er sowohl im Kollegium als auch bei den Schülern beliebt ist. Von seinem Doppelleben, dass in drei Wochen drei Tote fordert, ahnt niemand etwas. Nicht einmal Freund Roland, mit dem er sich gerade eine Wohnung einrichtet.

Drei Morde sind „Versehen“ 

Es ist die typische Geschichte des „netten Typen von nebenan“, der sich bei genauem Hinsehen als gar nicht so nett entpuppt. Vorlage für das Drehbuch sind die Protokolle der Gerichtsreporterin Uta Eisenhardt, die jahrelang beim Stern die Kolumne „Icke muss vor Jericht“ beliefert. 2013 wird Dirk P. zu lebenslanger Haft verurteilt, das Gericht betont die „besondere Schwere der Schuld“. Bis zum Schluss erklärt der Angeklagte, das Ganze sei ein „Versehen“, er habe das so nicht gewollt. 2014 nimmt er sich schließlich das Leben in seiner Zelle.

Während das Gericht im echten Leben auf „Habgier“ als Motiv plädiert, lässt von Praunheims Film der Spekulation freien Raum. Zwar lässt der Täter Kreditkarten, Bargeld und Kleidung seiner Opfer mitgehen, braucht die Beute aber eigentlich gar nicht. Seine Oma – die Frage, ob er sie umgebracht hat oder nicht, bleibt gleichfalls unbeantwortet – hat ihm 100.000 Euro hinterlassen. Die in solchen Fällen oft bemühte Einordnung als „sozial isolierter Einzeltäter“ trifft es ebenfalls nicht. Dirk P. lebt in einer festen Beziehung, hat eine Arbeit mit Perspektive und baut sich gerade eine Existenz in Berlin auf. Das offene Ende ist gewollt, sagt der Regisseur spätabends nach der Vorführung, die den Zuschauer zu den Höhen und Tiefen der Homosexuellenszene mitnimmt.

Die auf einer wahren Begebenheit beruhende Darstellung des tragischen Schicksals ist schwere Kost. Daran sind die Max-Ophüls-Fans gewöhnt. Trotzdem war „Darkroom“ als Festivalauftakt am Montag eine schwache Wahl. Die Geschichte ist vergleichsweise brav und teilweise langatmig umgesetzt. Straffung hätte dem Film gutgetan. Für den Aktivisten Praunheim lag es nahe, dieses Thema aufzugreifen. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Geschichte bei heterosexuellen Menschen nicht die gleiche Wirkung hat wie in der betroffenen Szene. Dieses Risiko einzugehen, hatte wohl pragmatische Gründe. Co-Produzent ist der Saarländische Rundfunk, einer der Medienpartner des Festivals. Vereinzelte Anfangsszenen sind in Saarbrücken gedreht, die Lokalnote kommt immer gut.

Drei Fragen an Rosa von Praunheim (77)

Ihr neuer Film hat gerade Premiere. Kommt der Ehrenpreis für Sie zu früh, zu spät oder gerade richtig?
Er kommt natürlich gerade recht. Da ich mich noch so jung fühle, ist es eine Ermutigung, weiterzumachen.

Welche drei Dinge braucht Rosa von Praunheim, wenn er dreht?
Ich bin ein eher nervöser Mensch, also brauche ich Geduld. Das fällt mir schwer. Fantasie ist das wichtigste und drittens Erotik.

Was rät ein erfahrener Filmemacher dem Nachwuchs?
Filme machen heißt nicht, Gedanken in Bilder umsetzen, sondern Gefühle. Jede Szene sollte so gedreht sein, dass der Zuschauer etwas fühlen kann und nicht nur informiert wird.