Minderjährige Flüchtlinge in LuxemburgMenschenrechtskommission kritisiert Gesetze

Minderjährige Flüchtlinge in Luxemburg / Menschenrechtskommission kritisiert Gesetze
Im Jahr 2017 hatten 50 minderjährige Flüchtlinge ohne erwachsene Begleitung einen Antrag auf Asyl in Luxemburg gestellt. Ein Jahr später waren es immerhin noch 36. Für 2018 und 2019 hat die CCDH keine Zahlen.  Foto: Editpress/Isabella Finzi

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Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge haben ein Recht auf besonderen Schutz. Das fordert die Luxemburger Menschenrechtskommission und kritisiert die entsprechenden Gesetze. Der Grund: Das Großherzogtum gehe wieder seine eigenen Wege.

Jeder EU-Staat soll minderjährige Flüchtlinge aufnehmen, forderte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn kurz nach Weihnachten. Tatsächlich sind Kinder und Jugendliche, die nach Europa flüchten, in ganz besonderem Maße schutzbedürftig. Insbesondere, wenn sie ohne Eltern oder Familie geflohen sind. Auf der Flucht sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge oft erheblichen Gefahren ausgesetzt und werden vermehrt Opfer von Menschenhandel, Gewalt oder krimineller Ausbeutung. Ihr Schutz sollte eigentlich an erster Stelle stehen. Das ist laut der Luxemburger Menschenrechtskommission im Großherzogtum aber nicht immer der Fall.

Im Zentrum der Kritik steht die „Commission consultative d’évaluation de l’intérêt supérieur des mineurs non accompagnés“. Hinter dem umständlichen Namen versteckt sich ein Gremium, das eingesetzt wird, wenn das Asylgesuch eines Minderjährigen abgelehnt wurde. Die beratende Kommission soll in dem Fall ermitteln, ob das Kind oder der Jugendliche in Luxemburg bleiben oder zurück in seine Heimat geschickt werden soll. Die endgültige Entscheidung über eine Rückführung aber liegt bei den zuständigen Diensten des Außenministeriums.

Das Gremium selbst gründet auf einer Änderung des Immigrationsgesetzes von 2008, die im Oktober 2019 vom Parlament durchgewunken wurde. Ihre Kritik aber übt die Luxemburger „Commission consultative des droits de l’homme“ (CCDH) vor allem am Entwurf zum großherzoglichen Reglement, das die Besetzung und Funktionsweise des besagten Gremiums regeln soll.

„Un bricolage à la luxembourgeoise“ nennt CCDH-Präsident Gilbert Pregno die Lösung, mit der das Außenministerium nun in dieser Hinsicht aufwartet. Internationale Richtlinien und Vorschläge seien nämlich nicht berücksichtigt worden, was Pregno umso erstaunlicher findet, da sich Hausherr Jean Asselborn in der Regel leidenschaftlich für Flüchtlingsbelange einsetzt. „Einerseits hat Luxemburg einen Außenminister, der sich für die Interessen der Flüchtlinge starkmacht, andererseits aber einen Entwurf, bei dem der Eindruck aufkommt, als seien diese Kinder der Feind, den es zu bekämpfen gilt“, betont Pregno.

Fader Beigeschmack

Gleich vorweg aber wurde Kritik dazu ausgeübt, dass das Gremium seit 2018 eingesetzt wird, obschon die gesetzliche Basis dafür erst mit der Parlamentsabstimmung im Oktober 2019 geschaffen wurde. „Allein das ist schon ein Skandal“, unterstreicht die Juristin der Menschenrechtskommission Anamarija Tunjic. Auch wurden in der Zwischenzeit bereits mehr als 20 Dossiers behandelt, obschon die Funktionsweise des Gremiums erst mit dem vorliegenden Entwurf gesetzlich festgehalten werden soll.

Hauptkritikpunkt aber ist die Zusammensetzung der vierköpfigen Beratungskommission. Wie bisher nämlich sind mit Abgesandten des „Office national de l’enfance“ (ONE), des „Office national de l’accueil“ (ONA), der Luxemburger Staatsanwaltschaft und des Außenministeriums nur staatliche Instanzen in diesem Gremium vertreten. Am meisten aber störe sich die CCDH am Vertreter des Außenministeriums, dem auch die Immigrationsbehörde untersteht. Diese nämlich entscheide im Vorfeld über Asylgesuche, sei also mit dafür verantwortlich, dass nun über den Verbleib des Kindes in Luxemburg entschieden werden müsse.

Vertreter der Zivilgesellschaft sucht man derzeit vergeblich in der Beratungskommission. Eine Beobachterrolle hat lediglich das „Ombuds-Comité fir d’Rechter vum Kand“ (ORK), das sämtliche Dossiers erst zu einem späteren Zeitpunkt einsehen darf. Zwar war dem ORK ein Sitz im beratenden Gremium angeboten worden. „Aus deontologischen Gründen aber mussten wir ablehnen“, bestätigt ORK-Präsident René Schlechter. „Wir können nicht an Entscheidungen mitwirken, die wir aus prinzipiellen Gründen später kritisieren müssen“, so Schlechter. Deshalb habe man sich für eine Beobachterrolle entschieden.

Doch auch die Zusammensetzung des Gremiums bereitet Schlechter Kopfzerbrechen: Mit dem Außenministerium übernehme eine Behörde in der Beratungskommission eine Führung, die das Asylgesuch in erster Instanz abgelehnt hat und diese Entscheidung nun selbst überprüfen soll. „Auch die anderen Vertreter sind – wenn auch bedingt neutral – staatliche Instanzen“, erklärt Schlechter. Dass das Gremium befasst wurde, bevor überhaupt eine gesetzliche Basis dafür bestand, habe einen weiteren faden Beigeschmack.

„Es handelt sich um Kinder“

Für die Menschenrechtskommission steht indessen außer Frage, das nur ein unabhängiges, neutrales und multidisziplinäres Gremium im Interesse des Wohles eines Kindes entscheiden kann. Das betont die Juristin der CCDH, die es auch vermeidet, von „Minderjährigen“ zu sprechen. „Wir sollen uns nichts vormachen: Es handelt sich hierbei um Kinder“, betont Tunjic. Eine weitere Forderung betrifft die Aus- und Weiterbildung der Gremiumsmitglieder. Es handele sich hierbei um schwierige Entscheidungen mit schwerwiegenden Folgen, so die Juristin. Es sei also unabdingbar, dass die Vertreter entsprechend ausgebildet werden.

Kritisiert wurde außerdem die Funktionsweise der Beratungskommission. Es sei nicht immer ersichtlich, wie viele Kinder in ihre Heimat zurückgeführt wurden und aus welchen Gründen. Dies müsse nach objektiven Kriterien erfolgen, die im Vorfeld gesetzlich festgehalten wurden. In dieser Hinsicht könnte man sich an den Vorschlägen orientieren, die das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen und das Kinderhilfswerk Unicef für solche Fälle vorsehen. Auch müssten die Kinder und Jugendlichen ein explizites Recht auf eine Begleitperson ihrer Wahl erhalten, die sie zu den Anhörungen vor dem Gremium begleiten darf.

Harsche Kritik übten die Vertreter der Menschenrechtskommission auch am Umstand, dass Entwürfe für großherzogliche Reglements im Gegensatz zu Gesetzesvorlagen nicht automatisch der Zivilbevölkerung unterbreitet werden. Stellungnahmen werden nur von den Berufskammern und vom Staatsrat einbezogen, Vertreter der Zivilgesellschaft hingegen müssten selber aktiv werden, um ihrer beratenden Funktion nachgehen zu können. Gleich mehrmals habe die Menschenrechtskommission bei den zuständigen Behörden nachhaken müssen, bevor sie den aktuellen Entwurf zu Gesicht bekam, so Gilbert Pregno. Er hoffe, dass die Regierung diese Praxis künftig nochmal überdenke.