Chantal Hoffmann„Der Teamgeist macht den Radsport aus“

Chantal Hoffmann / „Der Teamgeist macht den Radsport aus“
Chantal Hoffmann hat den luxemburgischen Damenradsport mitgeprägt Foto: Rom Helbach

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Am Sonntag wird Chantal Hoffmann bei der Tour of Guangxi in China ihr letztes Radrennen bestreiten. Die 31-Jährige steht seit 2014 im Dienst des belgischen Profi-Teams Lotto Soudal. Neben Christine Majerus war „Wuffi“, wie sie von Freunden genannt wird, das Aushängeschild des luxemburgischen Damenradsports. Neben den Teilnahmen an den größten Profirennen und Weltmeisterschaften gehören die Olympischen Spiele 2016 in Rio zu ihren Karriere-Highlights. Vor ihrem letzten Rennen hat sich das Tageblatt mit ihr über die Doppelbelastung, die Situation des Damenradsports und den Grund, wieso sie beruhigt in Rente gehen kann, unterhalten.

 Von Mario Nothum

Tageblatt: Wenn Sie auf all diese Jahre zurückblicken, was hat der Leistungssport Ihnen gebracht?
Chantal Hoffmann: Viel! Der Radsport ist eine Schule fürs Leben. Einige Lehrer haben mir gesagt, dass ich im Vergleich zu den Mitschülern seriöser und offener sei. Ich habe erst später erkannt, dass der schulische Erfolg zum Teil auch darauf zurückzuführen ist, dass ich gelernt habe, zu kämpfen. Im Sport ist es wie im Leben: Wenn du fällst, musst du gleich wieder aufstehen.

Wie sind Sie zum Radsport gekommen?
Im Alter von acht Jahren habe ich mit der Leichtathletik begonnen. Nach sechs Jahren habe ich damit aufgehört und wollte eigentlich keine Wettkämpfe mehr bestreiten. Da ich hyperaktiv bin, schloss ich mich einige Monate später einer Gruppe von Freizeitradfahrern an und wurde als deren „Maskottchen“ mitgenommen. Mit 18 nahm ich meine erste Lizenz beim LP Mühlenbach.

Danach ging es recht schnell Richtung Profisport?
Mit Beginn meines Studiums in Louvain habe ich mich dem Verein De Sprinters Malderen angeschlossen. In Belgien bin ich dann viele Kirmesrennen und Wettbewerbe der Kategorie 1.2 gefahren. Damals hatte ich eine Profikarriere eigentlich nicht im Sinn. Das hat sich erst im Laufe der Zeit und eher zufällig ergeben.

Foto: Julien Garroy

Hat es geschafft, Beruf und Hochleistungssport zu kombinieren: Chantal Hoffmann 

War es schwierig, das Studium mit dem Radsport zu verbinden?
Zwischen den Vorlesungen auf der Uni hatte ich genug Zeit, um meine Trainingseinheiten zu absolvieren. Die Schule war gut organisiert und die Professoren wussten immer Bescheid, wenn ich einmal wegen eines Rennens fehlte. Natürlich hatte das Studium immer Priorität. Während der stressigen Examenszeit im Mai und in Juni bestritt ich keine Wettkämpfe.

Wie haben Sie sich nach dem Studium organisiert?
Beruflich arbeite ich halbtags als Kiné. Die restliche Zeit widme ich dem Radsport. In meinen ersten Jahren bei Lotto Soudal konnte ich beides gut kombinieren. Das Leistungsniveau im Damenradsport ist in den letzten Jahren allerdings stark gestiegen. Seit letzter Saison musste ich mein Arbeitspensum reduzieren, um mich von den immer intensiveren Trainingseinheiten erholen zu können. Ab Juli wurde die Doppelbelastung problematisch. Das ist auch ein Grund dafür, dass ich meine Karriere jetzt beende.

Charakterstärke ist demnach gefragt?
Das stimmt. Man muss beißen können. Im Gegensatz zu weitaus talentierteren Konkurrentinnen konnte ich mich in schweren Momenten immer wieder aufrappeln. Man muss mit sich im Klaren sein, was man will. Es wird oft vergessen, dass man im Radsport, neben dem harten Training, viel Verzicht üben muss. Anstelle mit Freunden zu feiern, musste ich im Winter trotz Regen und Kälte trainieren.

Welche waren Ihre sportlich schönsten Momente?
Ich persönlich konnte keine Topresultate herausfahren. Für mich stand die Mannschaft immer im Vordergrund. In den beiden ersten Jahren bei Lotto Soudal konnten wir einige Siege beim Giro d’Italia einfahren. Für mich ist es der Teamgeist, der den Radsport ausmacht. So war es ein schönes Gefühl, Christine (Majerus) bei ihrer tollen Leistung bei den Olympischen Spielen in Rio zu unterstützen. Mir hat es wahrscheinlich am nötigen Egoismus gefehlt, um gute Ergebnisse zu erzielen. Dass ich nie Landesmeisterin geworden bin, damit habe ich kein Problem.

Es ist also die Doppelbelastung, die Sie dazu bewogen hat, mit dem Radsport aufzuhören?
Die Doppelbelastung ist nicht der einzige Grund. Bei Lotto Soudal hätte ich sicherlich einen Vertrag für die nächste Saison bekommen. Dort sind alle traurig, dass ich aufhöre. Ich habe sehr viel erlebt und der Spaß am Radfahren ist immer noch intakt. Aber der finanzielle Aspekt spielt eine erhebliche Rolle. Vielleicht bin ich in der falschen Generation geboren. In ein paar Jahren verdienen die Frauen möglicherweise genug, um vom Radsport leben zu können. Hinzu kommt, dass ich ein extrem sozialer Mensch bin. Da stört es mich, dass die jungen Fahrerinnen nach dem Essen sofort auf ihr Zimmer verschwinden. Vor einigen Jahren saßen wir abends noch gemütlich beisammen. Vielleicht ist das ja auch eine Frage des Alters, schließlich werde ich bald 32.

Sie sind im gleichen Alter wie Christine Majerus. Sie beide haben den Damenradsport in Luxemburg geprägt.
Wir sind beide Jahrgang 1987 und haben zusammen mit dem Radsport angefangen. Im Laufe der Jahre hat sich eine super Freundschaft zwischen uns entwickelt. Ich habe mich sehr über ihren Post letzte Woche gefreut. Wenn ich diese netten Worte lese, weiß ich, dass ich nicht alles falsch gemacht habe. Christine ist eine riesige Bereicherung für den Damenradsport. Ihre sportlichen Leistungen sind top. Es ist phänomenal, wie sie es jedes Jahr erneut schafft, ihre Leistung abzurufen. Chapeau!

Foto: Jeff Lahr

Chantal Hoffmann mit ihrer Freundin Christine Majerus bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio

Was halten Sie von der Entwicklung des Damenradsports in den letzten Jahren? Wurde der richtige Weg eingeschlagen?
Ja und nein. Der Damenradsport hat sich extrem schnell entwickelt. In verschiedenen Punkten vielleicht zu schnell. Für den Nachwuchs ist der Sprung von den Junioren zu den Espoirs mittlerweile enorm groß. Dadurch gehen viele Talente verloren. Es müssen Lösungen gefunden werden, um den Nachwuchs zu fördern. Das Andy Schleck Cycling Team ist ein gutes Beispiel in dieser Hinsicht. Ansonsten ist der Damenradsport auf einem guten Weg. Wir wollen uns nicht mit den Männern vergleichen. Jeder fährt die Rennen auf seine Art. Es ist eine gute Idee, den Zuschauern vor dem Rennen der Männer auch ein Damenrennen zu bieten. Von der guten Stimmung profitieren sowohl die Zuschauer als auch die Frauen. Die UCI muss jedoch aufpassen, dass die Länge der Rennen nicht ausufert, wie das jetzt bei der WM der Fall war.

Wie stehen Sie zu der geforderten Gleichstellung der Prämien?
Die allermeisten Fahrerinnen wären bereits froh, wenn sie von ihrem Verdienst leben könnten. Es geht nicht darum, so viel zu verdienen wie Peter Sagan. Wie ich bereits gesagt habe, kann man beides nicht miteinander vergleichen. Ein Beispiel: Meine Teamkollegin Elise Delzenne, die immerhin mehrfache französische Meisterin war, hat vor zwei Jahren im Alter von 28 Jahren aus finanziellen Gründen aufgehört. Sie hätte noch viel erreichen können.

Am kommenden Sonntag sind Sie in China am Start des WorldTour-Rennens Tour of Guangxi. Ist es Ihr letztes Rennen?
Die Teamverantwortlichen haben beschlossen, zum ersten Mal dort zu starten. Für mich ist es definitiv das letzte Rennen.

Neben Ihrem Freund Glen Leven, der seit Jahren als Mechaniker bei Trek-Segafredo arbeitet, hat jetzt auch Ihr Cousin einen Kontrakt bei der amerikanischen Mannschaft erhalten. Der Kontakt zum Radsport geht also nicht verloren.
Dadurch dass Michel (Ries) bei Trek unterschrieben hat, kann ich beruhigt in Rente gehen. (lacht) Mein Vater und mein Onkel haben dann weiterhin jemanden im Peloton, den sie anfeuern können. Ich meinerseits werde dem Radsport keinesfalls den Rücken kehren. Mir stehen viele Türen offen. Mal sehen, inwieweit ich meine Ausbildung als Kiné bei Lotto Soudal einsetzen kann. Nach sechs Jahren gehöre ich dort zur Familie. Ich möchte mich ebenfalls bei meinem Arbeitgeber bedanken, der es mir in all den Jahren ermöglicht hat, meinen Sport zu betreiben.

Foto: Gerry Schmit

Chantal Hoffmann mit ihrem Lebensgefährten Glen Leven
de Ben
28. Oktober 2019 - 12.57

Tschuldigung, wieviele Siege, Podiums-resp. Ehrenplätze hat diese " grosse " Dame des einheimischen Radsportes in ihrer Profikarriere eigentlich aufzuweisen? Also bitte den Ball etwas flacher halten! Ein Mehr an Bescheidenheit wäre in diesem Falle nicht fehl am Platz.

Müller jang
24. Oktober 2019 - 17.39

Eine Bilderbuchkarriere geht z Ende. Man wird " Wulffi ", eines der Aushängeschilder des Damenradsportes nach der legendären Elsy Jacobs, schmerzlich vermissen.

Clemi
17. Oktober 2019 - 22.20

Respekt für die Karriere & alles Gute für den neuen Lebensabschnitt!