Der Esprit ist tot, aber die Legende lebt

Der Esprit ist tot, aber die Legende lebt

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

40. Rallye Dakar – ein subjektiver Rück- und Ausblick

Von unserem Korrespondenten und Dakar-Teilnehmer Chrëscht Beneké

Traditionell als erstes großes Motorsportereignis startet am 6. Januar die diesjährige Dakar. Auch wenn die sportliche Herausforderung über 14 Etappen mit fast 9.000 Kilometern, davon fünf über 3.000 Höhenmeter und die Hälfte reine Offroad-Etappen durch Peru, Bolivien und Argentinien, möglicherweise noch gewachsen ist, so hat sich bis zur 40. Auflage, übrigens die zehnte in Lateinamerika, doch einiges geändert.

Am Vortag platzten für den im Januar 2000 überlegen führenden Nani Roma mit dem Motor vier Tage vor Schluss alle Siegträume. Doch mit Ersatzmotor blieb der KTM-Werksfahrer nun kurz bei mir stehen, fragte, ob er mir weiterhelfen könne. Ich verneinte. Nachdem mir die dabei hoffnungslos verklemmte Kette und beim Reparieren auch der Kettentrenner kaputt gegangen waren, hatte ich erst mit einer Leatherman-Feile und dann bei einem Fernsehteam geliehenen Hammer und Meißel in stundenlanger Arbeit den Antriebsstrang gerade wieder so weit hergestellt. Auf den 606 Kilometern ins ägyptische Ad-Dakhla holte mich die Dunkelheit einige hundert Kilometer später aber ein. Fast ohne Sicht war ich in dem kurvigen, vom Rallyetross zerpflügten Tiefsand mit Mittelgas im zweiten Gang zwar zu schnell, doch langsamer sprang die malträtierte Kette immer wieder über die lädierten Ritzel. Zu Fuß prüfte ich mehrmals an sandigen Abhängen den richtigen Weg. Später, im Ziel als Tagesletzter, hatte ich ein seltenes Hochgefühl und nur einen Gedanken: Mit Tagen wie diesen verdient man sich eine Dakar!

Abwechslungsreicher

Mit seinem Mechaniker Marco „Borrel“ Borrelbach ist Chrëscht Beneké am 23. Januar 2000 bisher einziger Luxemburger im Ziel der Dakar. Foto: Tageblatt-Archiv

Noch heute, knapp 18 Jahre später, bleibt jene Dakar der sportliche Ritterschlag. Trotz insgesamt 17 WM-Läufen, sogar einem Etappensieg gegen die deutlich stärkeren Werksmotorräder bei der Orient-Rallye 2004 und einem dritten Gesamtrang am Ende jener FIM-Weltmeisterschaft; wenn in einer mehr oder weniger sportlichen (Alt-)Herrenrunde die Rede auf meine Rallyeraid-Vergangenheit kommt, lautet die große Frage: Und die Dakar? Das im Dezember 1978 von Thierry Sabine begründete Rennen gilt als die Mutter aller Wüstenrallyes, als härtestes Motorsport-Event der Welt und ist mit über 60 Todesopfern (neben 33 Teilnehmern auch etliche Zuschauer und Begleitpersonen) recht umstritten. Auch damit hat sie sich einen Ruf wie Donnerhall verdient.

Große Kollegialität

Auf das Bejahen der Teilnahme folgt etwas Ehrfurcht, dann die Frage nach der Zielankunft, mehr Ehrfurcht und meist noch ein: Wie wars? – Kalt! Ich habe in meinem Leben nicht so gefroren. Bei tiefen einstelligen Temperaturen starten die Motorradfahrer noch im Dunkeln auf die oft mehreren hundert Kilometer der Verbindungsetappen in recht dünnen Offroad-Klamotten, die man tagsüber für die hohen Temperaturen und heftigen Anstrengungen braucht.

Weniger die Leistungsdichte als vielmehr die extremen äußeren Umstände und täglichen Geländeetappen im sehr hohen dreistelligen Kilometerbereich über gut zwei Wochen sorgen für die Schwierigkeit. Zwar weniger als noch in Afrika, doch auch nach dem Wechsel 2009 nach Lateinamerika werden weiterhin Sanddünen überwunden. Mit Geröll und Schotter, Hartboden und Sand gibt es auch dort sämtliche Offroad-Spielarten und nach Aussage meines früheren Trainers, 1997 auf dem Motorrad Fünfter und als Navigator 2009 erstes Siegerteam der lateinamerikanischen Ausgabe, Dirk von Zitzewitz, sind die Strecken insgesamt sogar abwechslungsreicher und fordernder. Hinzu kommen oft lange Abschnitte in dünner Höhenluft über 3.000 Meter.

Etwas fehlt

Doch etwas ging verloren … „D’ganz Ambiance feelt haut“, urteilt Carlo Arendt hart. „Et deet mer net leed, deemools dobäi gewiescht ze sinn“, sagt er über seine Dakar im Jahr 2000 – sie war für ihn ein Beinbruch (12. Etappe). Mit Blick auf die heutige wahnsinnige Durchschnittsgeschwindigkeit findet er aber, dass mittlerweile aus dem abenteuerlichen Rallye-Raid eine Rallye-F1 geworden ist. Diese Entwicklung hatte allerdings bereits im neuen Millennium in Afrika angefangen, wo gerade die Autoteams in wochenlangen Wüstenlehrgängen mitsamt übergeordneten Chefnavigatoren, sämtlichem verfügbaren Kartenmaterial inklusive begehrter russischer Militärkarten mögliche Routenverläufe ausspionierten.

Das hatte nur noch wenig gemein mit der Handvoll Verwegener mit abenteuerlich zusammengebastelten Geländewagen und Motorrädern in den Anfangstagen, die sich ihren Weg durch die menschenfeindliche Wüste per Roadbook, Karte und Kompass bahnten. Zwar führten am Ende in der Sahara die Topteams bereits eigene Duschen mit, doch eigentlich war jeder im entlegenen Biwak mit zentraler Essenausgabe, kargem Zelt auf hartem Boden und den gleichen Ölfässern für die Notdurft aller doch ziemlich gleich. In Lateinamerika bleibt die Nutzung von GPS weiter streng reglementiert, doch nächtigen mittlerweile fast alle im eigenen Wohnmobil. Für die Logistik ist die Nähe einer Großstadt günstig und damit oft sogar der nächste McDonalds nicht weit.

Abschied vom Schwarzen Kontinent wird bedauert

„Da die Rallye einfacher zu organisieren ist und die (finanzielle) Unterstützung der besuchten Länder größer, ist es eine logische Evolution, mit der sich zudem mehr Geld verdienen lässt“, findet Carlo Arendt. Wie etwa auch die Teilnehmer der 2009 erstmals gestarteten ursprünglicheren und viel weniger mediatisierten Konkurrenzveranstaltung „Africa Eco Race“ von Monaco nach Dakar bedauert er den Abschied vom Schwarzen Kontinent und fuhr 2010 bei der „Heroes Legend“ noch mal mit dem Geländefahrzeug nach alten Roadbüchern der Dakar.

Die größte Legende der Dakar, Stéphane Peterhansel, war 2000 wie jedes Jahr seit 1988 – mit Ausnahme von 1994 – mit dabei und erzielte bei seinem zweiten Autoeinsatz im kleinen französischen Méga-Projekt einen sensationellen zweiten Platz.

Erste Etappen mit viel Tatendrang

Ähnlich jung bei meinem Debüt war auch ich die ersten Etappen zu stürmisch angegangen und musste mit zerstörter Gabelbrücke in der vierten Etappe zurück auf Los. Im Biwak half mir die bereits ausgeschiedene Ski-Abfahrtslegende und 2006 späterer Sieger im Auto, Luc Alphand, bei der Reparatur. Die Kollegialität war, ist und bleibt ungewöhnlich hoch bei diesem außergewöhnlichen Wettkampf. Auch wenn die mediale Begeisterung (in Europa) in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist, so bleibt die Faszination bei (Motor-)Sportlern riesig.

Der vierfache Gesamtsieger der letzten sechs Jahre, Stéphane Peterhansel, wird in diesem Jahr wohl wieder die größte Konkurrenz im eigenen Peugeot-Team haben mit dem letztjährigen Zweiten und legendären neunmaligen Straßenrallye-Weltmeister in Folge Sébastien Loeb, aber auch dem zweifachen Rallyeweltmeister und Dakar-Sieger von 2010 Carlos Sainz sowie dem letztjährigen Dritten und fünffachen Motorradsieger Cyril Després. Doch die ambitionierten Underdogs von Toyota und Mini lauern mit ähnlich erfahrenen Teams auf kleinste Fehler auf den knapp 9.000 Kilometern.

„Mister Dakar“: Stéphane Peterhansel

Noch 2005 fuhr Stéphane Peterhansel auf seiner Yamaha grüßend einhändig im Wheelie auf dem tief zerfurchten Schlammboden an mir vorbei, als ich beim Enduro-Rennen Val de Lorraine Classic auf einen Teamkollegen wartete.

Stéphane Peterhansel. Foto: AP

Der am 6. August 1965 nahe Vesoul geborene Franzose ist ein Phänomen auf Rädern: Mit 14 Jahren wurde er Skateboard-Landesmeister in den vier wichtigsten Disziplinen. Wenig später konzentrierte sich der spätere zweifache Enduro-Weltmeister jedoch aufs Geländemotorrad, wo er bereits 1988, mit erst 22 Jahren, im offiziellen Yamaha-Team als 18. seinen Einstand bei der Dakar und einen ersten Etappensieg feierte. Bei dieser wahrscheinlich schwierigsten Dakar aller Zeiten über gut 12.000 Kilometer in 18 Tagen erlitt sein Teamkollege und früherer MX-Weltmeister André Malherbe jedoch eine schwere Querschnittslähmung.

1990 übernahm Peterhansel am Tag, als sein Sohn Nicolas zur Welt kam, mit Etappensieg die Rallyeführung, doch verirrte er sich später und gab auf. 1991 gewann der 25-Jährige schließlich seine erste Dakar auf dem Motorrad und startete eine sechsfache Siegesserie, die nur von der Nichtteilnahme Yamahas 1994 und einer Aufgabe 1996 unterbrochen wurde.

Nach seinem Wechsel ins Auto 1999 ist der amtierende Dakar-Gewinner mit insgesamt 13 Siegen bei seinen bisher 28 Teilnahmen unbestrittener Champion aller Kategorien. Einzig mit runden 50 Etappenerfolgen im Auto kann der vierfache finnische Gesamtsieger Ari Vatanen den 38-fachen Etappensieger (noch) übertrumpfen. Doch in der kombinierten Wertung aller Fahrzeugklassen liegt „Mister Dakar“ mit insgesamt 71 Etappensiegen vor dem legendären russischen Lkw-Fahrer Wladimir Tschagin mit 63 Etappen- und 7 Gesamtsiegen. ChB.